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Sollten wir weniger Fleisch essen, Jonathan Safran Foer?
Aus Kultur Webvideos vom 07.02.2020.
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Jonathan Safran Foer «Für junge Menschen bedeutet Fleisch Umweltzerstörung»

Weniger Fleisch, weniger Fliegen, weniger Fortpflanzung: Nach seinem Bestseller «Tiere essen» präsentiert Jonathan Safran Foer nun mit «Wir sind das Klima!» Lösungen gegen den Klimakollaps. Der US-Autor sagt: «Wir stehen am Anfang eines Verlustprozesses.»

Doch Jonathan Safran Foer weiss auch: Der Wille mag stark sein, das Fleisch ist manchmal aber schwach. Auch bei ihm gingen gute Vorsätze in der Hektik des Alltags rasch vergessen, gibt der Autor zu.

Jonathan Safran Foer

Jonathan Safran Foer

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Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer, geboren 1977 in Washington D.C., stammt aus einer jüdischen Familie, die den Holocaust überlebte. Er hat Philosophie und Literatur an der Princeton University studiert, hat zwei Kinder und lebt in Brooklyn, New York.

Mit seinem Debütroman «Everything Is Illuminated» (2002) sorgte er weltweit für Aufsehen: Kritiker lobten sein Werk nahezu einhellig als eines der besten des Jahres. Drei Jahre später legte er mit «Extremely Loud and Incredibly Close» seinen zweiten Roman vor. Beide Bücher wurden in der Folge verfilmt.

2009 erschien mit «Eating Animals» Safran Foers erstes Sachbuch. Darin setzt er sich mit der industrialisierten Tierproduktion auseinander. Im Herbst 2019 publizierte er ein weiteres Sachbuch mit dem Titel «Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können». Es ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

SRF: In Ihrem Buch schreiben Sie: Um den Anteil von CO2 am effektivsten zu reduzieren, sollen wir zum Frühstück und Mittagessen auf tierische Produkte verzichten. Am Abend können wir essen, was wir wollen. Warum nicht gleich vollständig auf tierische Produkte verzichten?

Jonathan Safran Foer: Zuerst ist mir wichtig klarzustellen: Das ist nicht einfach meine Meinung. Das sind vielmehr wissenschaftliche Erkenntnisse. Und sie sind überhaupt nicht umstritten.

In den Berichten der UNO, des Weltklimarats und in allen wissenschaftlichen Studien über den Klimawandel herrscht Konsens darüber, dass wir persönlich vier Dinge tun können, die viel stärker ins Gewicht fallen als alles andere: weniger fliegen, ohne Auto leben, weniger tierische Produkte essen, weniger Kinder haben.

Die Frage ist: Wie viel Verlust können wir verkraften? Das bestimmt, wie viel Veränderung wir verkraften können.

Eine der Herausforderungen ist, dass wir alle diese Dinge lieben. Könnten wir den Klimawandel positiv beeinflussen, indem wir beispielsweise aufhören würden, uns mit Messern zu verletzen – wir hätten es schon längst gemacht. Aber es ist sehr angenehm zu fliegen und die Welt zu sehen. Und viele sind sehr gerne Eltern und essen gerne leckere Gerichte.

Warum fokussieren Sie primär auf den Konsum von tierischen Nahrungsmitteln?

Wir wissen, dass tierische Produkte zu den Nahrungsmitteln gehören, welche die Umwelt am meisten schädigen. Wenn man auch Faktoren berücksichtigt, die mit der Nutztierhaltung zusammenhängen – etwa das Abbrennen und Abholzen des Amazonas, um Weideland oder Anbauflächen für Futterpflanzen zu gewinnen –, dann sind tierische Produkte für mehr Treibhausgasemissionen verantwortlich als alles andere zusammen.

Wir wissen auch, wie viel wir reduzieren müssen. Dazu müssen wir nicht ganz auf tierische Produkte verzichten und alle Veganer werden.

Der Club of Rome sagt, dass wir pro Kind, das wir nicht bekommen, im Jahr 58.6 Tonnen CO2 einsparen. Sie sagen, dass wir mit der Ernährung 1.3 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Dann wäre es doch besser, keine Kinder mehr zu bekommen?

Jeder sucht nach der Patentlösung: «Wenn wir das tun, können wir den Planeten retten.» Die Realität ist: Wir werden den Planeten weder retten noch verlieren.

Wir stehen am Anfang eines Verlustprozesses. Wir werden viel verlieren: zum Beispiel einige Küstenstädte wie Venedig oder Miami. Wir werden Teile des Amazonas verlieren. Wir werden Menschenleben verlieren durch Buschbrände, Dürren und Krankheiten. Unsere Lebenserwartung wird sinken.

Die Frage ist: Wie viel Verlust können wir verkraften? Das bestimmt, wie viel Veränderung wir verkraften können. Wenn wir also die Überbevölkerung in den Griff bekommen, können wir den Verlust teilweise verringern. Wenn wir unsere Ernährung anpassen, können wir den Verlust teilweise verringern.

Es ist sehr verführerisch, das Ganze zu vereinfachen und zu sagen: «Wenn wir nur dieses eine tun würden!» Tatsächlich ist es aber sehr kompliziert.

Der Schweizer Lebensmittelhändler Christian Jörg sagte kürzlich in einem Interview, dass die Menschheit vor einem Fleischboom stehe: Aufstrebende Länder würden mehr tierische Proteine konsumieren, je wohlhabender sie werden. Deprimiert Sie eine solche Aussage?

Ja, das ist deprimierend – und es stimmt. Die Menschen essen Fleisch zu einem grossen Teil aus dem Grund, dass es Erfolg und Macht symbolisiert. Gut möglich, dass sich solche Statussymbole verändern. Unter jungen Menschen tut es das bestimmt. An allen US-amerikanischen Universitäten zusammengenommen gibt es mehr Vegetarier als Katholiken.

Für junge Menschen symbolisiert also Fleisch nicht Wohlstand und Erfolg. Für sie bedeutet es Verschwendung, Materialismus und Umweltzerstörung.

Der Schweizer Ökonom Ernst Fehr schlägt als mögliche Lösung eine Steuer für umweltschädliche Produkte wie Fleisch vor. Würden Sie das unterstützen?

Ja, aber ich würde es anders beschreiben. Statt zu sagen: Man soll Produkte, die der Umwelt schaden, künstlich verteuern, würde ich sagen: Hören wir auf, sie künstlich zu verbilligen.

Laut der UNO gehört die landwirtschaftliche Tierhaltung zu den zwei oder drei schlimmsten Ursachen jedes gravierenden Umweltproblems wie Luft- und Gewässerverschmutzung, Verlust von Artenvielfalt oder Abholzung. Wenn ein Burger Umweltkosten verursacht, muss jemand dafür bezahlen.

Deshalb schlage ich vor: Ein Burger soll so viel kosten, wie er wirklich kostet. Autos und Flugreisen sollen so viel kosten, wie sie wirklich kosten. Wenn ein Flugticket von Europa in die USA plötzlich 15'000 Dollar kostet – so viel kostet es uns nämlich tatsächlich – und wir deshalb weniger fliegen, ist das der freie Markt.

Gewisse Preise wurden künstlich gesenkt, was uns zu einer schlechten Wahl verleitet. Dafür müssen unsere Kinder und Enkel bezahlen.

Es ist keine Zumutung, wie gewisse Leute sagen. Man legt nicht einen künstlichen Preis fest, um uns etwas wegzunehmen. Vielmehr wurden gewisse Preise künstlich gesenkt, was uns zu einer schlechten Wahl verleitet. Und dafür müssen unsere Kinder und Enkel bezahlen.

Ein junger Mann mit Brille und krausem Haar blickt nachdenklich.
Legende: «Wir werden viel verlieren»: Johnathan Safran Foer macht sich Sorgen um die Zukunft – aber ohne schwarzzumalen. Getty Images / Rosdiana Ciaravolo

Sie sagen in Ihrem Buch auch, dass die Rettung des Klimas eine gute Geschichte mit einer guten Hauptfigur braucht. Warum?

Im Buch machte ich ein Gedankenexperiment, das halb witzig und halb ernst gemeint ist: Hätte sich das Christentum derart ausgebreitet, wenn Jesus nicht gekreuzigt, sondern in einer Badewanne ertränkt worden wäre? Würden seine Anhänger jetzt Badewannen um den Hals tragen? Wäre 9/11 genauso 9/11, wenn sich die Türme des World Trade Centers nicht so leicht zeichnen liessen? Wäre Hitler auch Hitler ohne seinen Schnurrbart, wäre Gandhi auch Gandhi ohne Lendenschurz?

Barack Obama änderte seinen Vornamen von Barry zu Barack. Denken Sie, Barry Obama wäre Präsident geworden? Barack klingt viel ikonischer und heroischer. Auch der Klimawandel braucht ikonische Figuren.

Greta Thunberg wird ja immer wieder als eine solch ikonische Figur beschrieben. Am diesjährigen WEF sagte sie, dass zwar alle ihrer Geschichte zuhören, aber nicht entsprechend handeln.

Ich denke, sie unterschätzt ihren Einfluss. Greta Thunberg hat Dutzende, wenn nicht Hunderte Millionen mobilisiert. Ohne sie gäbe es keine Freitagsdemonstrationen. Ohne Greta wäre die Thematik in Davos vermutlich gar nicht zur Sprache gekommen. Und auch wir zwei würden wohl jetzt nicht hier sitzen. Ihr Einfluss ist weitreichend.

Aber sie hat insofern recht: Es besteht das Risiko, dass es um Gefühle statt Handlungen geht. Manche Leute schauen Videos von Greta Thunberg, sie weinen, fühlen sich hoffnungsvoll und inspiriert – als ob das schon bedeuten würde, Umweltaktivistin oder -aktivist zu sein. Anstatt dass sie ihr Leben ändern, wie das Greta getan hat.

Trump hat uns zu einer Selbstreflexion gezwungen: Er verkörpert das, was wir nicht wollen. Das, was wir befürchten.

Während Greta Thunberg eine Art Heldin ist für uns – unsere erste in der Klimakrise – haben wir in Donald Trump auch unseren ersten realen Bösewicht. Ich arbeitete für Hillary Clinton und wollte, dass sie gewinnt.

Aber es gibt einen etwas abartigen Grund, warum ich dankbar bin, dass Donald Trump nun Präsident ist. Er hat uns zu einer Selbstreflexion gezwungen: Er verkörpert das, was wir nicht wollen. Das, was wir befürchten.

Ich denke, Trump konnte womöglich so viele Menschen wie Greta Thunberg mobilisieren – vor allem Jugendliche, die sagen: Das Mass ist voll, wir müssen die Welt ändern!

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Das ganze Gespräch mit Jonathan Safran Foer
Aus Sternstunde Philosophie vom 09.02.2020.
abspielen. Laufzeit 58 Minuten 37 Sekunden.

In Ihrem Buch gibt es eine wunderbare Liste von Dingen, die es nicht mehr gäbe, wenn es den Menschen nicht mehr gäbe: Vokabeln lernen, Samen aussäen, Selfies posten, Eifersucht runterschlucken, Landkarten mühevoll zusammenfalten, oder die Temperatur von Milch am Handgelenk prüfen, um nur einige zu nennen. Hilft uns die Vorstellung, dass wir das alles verlieren könnten, etwas zu verändern?

Sicher. Aber wir können nicht unseren Alltag leben und ständig daran denken. Wir zwei können ein Gespräch führen, einander wirklich überzeugen und uns davon berühren lassen.

Wir gehen auseinander und sagen: «Ich werde mein Leben ändern. Ich bin bereit, zur Lösung dieses Problems beizutragen.» Und wir meinen das sehr ernst. Womöglich weinen wir sogar, so ernst ist es uns.

Unsere Lebensumstände nehmen uns komplett in Beschlag. Darüber schwinden unsere Vorsätze.

Und zwei Stunden später geht das Leben weiter. Sie müssen zu einem Treffen hetzen, und ich muss zum Hotel zurück und denke: Es ist schon spät, was soll ich essen, hier gibt es nichts Rechtes. Was solls, dieses eine Mal esse ich etwas, das ich eigentlich nicht essen sollte. Ich muss nach New York zurück, und natürlich besteige ich nicht ein Schiff, sondern ich fliege.

Unsere Lebensumstände und die Details, die es braucht, um durch den Tag zu navigieren, nehmen uns komplett in Beschlag. Darüber schwinden unsere Vorsätze: Wir sind geneigt, uns das Leben leichter und angenehmer zu machen.

Statt über Hoffnung und Verzweiflung zu sinnieren, würden wir besser konkret über unsere Vorsätze reden.

Es kommt durchaus vor, dass wir ergriffen sind. Wenn ich Bilder von Überschwemmungen, Buschbränden, Sturmfluten und Klimaflüchtlingen sehe, bewegt mich das zutiefst. Dann frage ich keine Sekunde, was zu tun ist.

Das Problem ist: Ich sehe mir diese Bilder nicht ständig an. Meistens schaue ich auf mein Handy, lese die Zeitung oder bin unterwegs und absorbiert von der Hektik des Alltags. Dabei geht das andere vergessen.

Sie sagen, es gebe nichts in Ihrem Leben wie den Klimawandel, das Sie zugleich so hoffnungsvoll und so hoffnungslos werden lässt. Was überwiegt?

Statt über Hoffnung und Verzweiflung zu sinnieren, würden wir besser konkret über unsere Vorsätze reden. Ich stelle fest: Auch ich bin eigentlich eine Art Leugner. Natürlich anerkenne ich die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ich weiss, was geschieht.

Aber etwas in mir drin glaubt dennoch nicht, dass das wirklich passiert. Denn wenn ich es glaubte, würde ich ein ganz anderes Leben führen. Ich hatte bis vor einiger Zeit auch keinen Plan, wie das gehen würde. Hätte man mich gefragt: «Was tun Sie gegen das Problem der Flugreisen?», so hätte ich gesagt: «Nun, ich versuche, weniger zu fliegen.» Was gar nichts bedeutet.

Nun habe ich für mich schriftlich festgehalten, dass ich 2020 nicht in den Urlaub fliege. Sobald es notiert ist, mit Zahlen und Daten, und man einen Zeugen hat, verändert das das Leben. Ich mache mir also weniger Gedanken bezüglich Hoffnung oder Hoffnungslosigkeit, sondern darüber, wie wir diese Gefühle in konkrete Handlungen überführen können.

Das Gespräch führte Barbara Bleisch. Es ist eine verschriftlichte und gekürzte Fassung des Interviews, das für die Sendung «Sternstunde Philosophie» geführt wurde.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 9.2.2020, 11 Uhr

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