Mit Baubeginn des 15 Kilometer langen Tunnels suchten tausende ausländische Arbeiter am Gotthard ihr Glück. Es waren zumeist junge Männer aus armen italienischen Provinzen. Vereinzelt reisten auch Deutsche, Franzosen und Österreicher an.
Bergdörfern wandeln sich radikal
Das Projekt war dringend auf die Arbeitskräfte angewiesen. Die Regionen wurden dabei jedoch auf eine harte Probe gestellt. Schlägereien und Messerstechereien waren zu dieser Zeit an der Tagesordnung und die Einheimischen beklagten eine «Verluderung der Sitten».
Wohnhäuser, Geschäfte und Wirtshäuser schossen wie Pilze aus dem Boden. Auch das horizontale Gewerbe florierte und bot manchen Frauen eine Möglichkeit, ihr karges Einkommen mit Prostitution aufzubessern. Ruhe kehrte erst wieder in die Bergdörfer, als die Mineure nach Abschluss der Arbeiten wieder abzogen.
Pasta im Urnerland
In Göschenen wurde aber auch eine Bocciabahn gebaut und eine Schule für ausländische Kinder eingerichtet. 1875 gab es in Göschenen 20 italienische Lebensmittelgeschäfte. Sie versorgten die Mineure mit vertrauten Esswaren, die damals noch auf keinem Urner Speisezettel standen: Reis, Teigwaren, Polenta.
Ein Mineur verdiente zwischen 3.80 und 4 Franken pro Tag – mehr als auf anderen Baustellen. Lampe, Lampenöl, Kleidung, Unterkunft und Essen mussten die Mineure selber bezahlen. Was übrig blieb, schickten viele nach Hause zu ihren Familien. Belege von damals zeigen, dass 1876 rund 600'000 Franken nach Norditalien überwiesen wurden.
Anhaltende Tradition der Gastarbeiter
Auch heute senden viele Ausländer mit einer Arbeitsstelle in der Schweiz ein Teil des Gehaltschecks nach Hause. 2016 wird die Zahl der Überweisungen von Privatpersonen ins Ausland wohl eine Milliarde Schweizer Franken übersteigen.
Auch heute noch ist der Grossteil der Menschen, die Geld nach Hause senden, zwischen 25 und 34 Jahren alt. Ein Drittel davon sind inzwischen Frauen.