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Donna Leon über Heimat
Aus Kulturplatz vom 04.05.2022.
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Krimi-Autorin Donna Leon «Heimat ist der Ort, an dem sich ein Mensch am wohlsten fühlt»

Die Kriminal-Romane um «Commissario Brunetti» machten Donna Leon weltberühmt. Die Autorin wurde in New Jersey geboren, lebte dann in London, Iran, China, Saudi-Arabien, Venedig und heute in der Schweiz. Was bedeutet Heimat für eine Kosmopolitin?

Donna Leon

Donna Leon

Schriftstellerin

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Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey, arbeitete als Reiseleiterin in Rom und als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin und Dozentin im Iran, in China und Saudi-Arabien.

Als Schriftstellerin wurde Leon mit den «Brunetti»-Romanen weltberühmt. Donna Leon lebte viele Jahre in Italien und wohnt heute in der Schweiz. In Venedig ist sie nach wie vor häufig zu Gast.

SRF: Das englische Wort «home» unterscheidet sich vom deutschen Wort «Heimat». Es bezeichnet vieles, unter anderem den Wohnort. Wie benutzen sie das Wort?

Donna Leon: Ich habe das Wort immer auf zwei Arten verwendet: Erstens für den Ort, an dem eine Person lebt. Für die meisten Menschen ist dieser Ort in dem Land, in dem sie auch geboren wurden. 

Heimat hatte für mich mit einem Gefühl der Sicherheit zu tun.

Das zweite ist das, was wir «Heimat» nennen, wenn wir von der Frage überrascht werden und antworten, ohne über die richtige Antwort nachzudenken – also der Ort, an dem wir uns heimisch fühlen. Beide Orte heissen im Englischen «home».

Ist Heimat für Sie an ein Gebiet gebunden?

Ich benutze das Wort in all seinen verschiedenen Bedeutungen, sie sind für mich fliessend und nicht an eine Nation gebunden.

Was kann Heimat für Sie sein?

Wenn ich in ein Haus komme, in dem es viele schöne Dinge und gemütliche Möbel gibt, sage ich wahrscheinlich: «Oh, wie schön, ich fühle mich hier gleich zuhause.»

Aber das meint nicht, dass das meine Heimat ist. Die Art der Gegenstände und wie die Person sie angeordnet hat, ähnelt nur dem, was ich mit meinen eigenen Dingen und Büchern mache. Es ist mir vertraut, aber keine Heimat.

Jemand hat einmal gesagt, Sprache sei Heimat. Wie ist das für Sie?

Ja, ja, ja. Der Klang des Englischen, von Muttersprachlern gesprochen, ist Musik für mich. Himmlische Musik, wenn es auch noch eloquent und witzig ist.

Heimat, das sind die Töne, der Duft, das heimliche Zuhören

Sie haben in vielen Ländern gelebt. Können Sie sich erinnern, was Sie als Kind oder junge Frau unter Heimat verstanden haben?

Heimat hatte für mich mit einem Gefühl der Sicherheit zu tun. Dass ich so sein konnte, wie ich sein wollte. Dass ich Menschen, die ich liebte, und Dinge, die mir gehörten, um mich herumhatte.

Wie hat sich der Begriff seither für Sie verändert?

Bei den meisten meiner Jobs war ich nur für eine bestimmte Zeitspanne im Ausland. Ich wusste von Anfang an, dass ich nicht für den Rest meines Lebens in diesem Land bleiben würde.

Ich kann einen solchen Ort, die blosse Adresse, vielleicht als «Zuhause» sehen. Aber als Heimat? Das wäre nicht möglich.

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Aus dem Archiv: «Donna Leons Venedig»
Aus Sternstunde Musik vom 26.12.2013.
abspielen. Laufzeit 43 Minuten 34 Sekunden.

Wie würden Sie Heimat heute definieren?

Es ist der Ort, an dem sich ein Mensch am allerwohlsten fühlt.

Früher waren viele der Ansicht, dass es eine einzige Heimat für ein ganzes Leben gibt. Stimmt das noch?

Ich denke nicht, dass der Begriff noch eine grosse Bedeutung hat. So viele Menschen ziehen durch die Welt für ihren Job oder auf der Suche nach einem Job. Alle sind in Bewegung.

Sie finden vielleicht Orte, an denen sie anhalten und sich niederlassen. Das bedeutet aber kaum, dass sie eine Heimat gefunden haben.

Heimat, das sind die Töne, der Duft, das heimliche Zuhören, die Nachbarn, von denen man schon die Grosseltern gekannt hat. Das unbewusste Vertrauen in diese Menschen, ihre Worte, ihre Sprache.

Was ist für Sie die politische Dimension des Heimatbegriffs?

Die US-amerikanische Regierung hat den amerikanischen Ureinwohnern erst im Jahre 1924 die Staatsbürgerschaft gewährt. Ich denke, das sagt genug über die politische Dimension des Begriffs Heimat aus.

Das Gespräch wurde schriftlich geführt. Die Fragen stellte Franz Kasperski.

Buchhinweise

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  • Donna Leon: «Milde Gaben. Commissario Brunettis 31. Fall». Diogenes, 2022.(Erscheint am 25.05.2022)
  • Donna Leon: «Ein Leben in Geschichten». Diogenes, 2022. (Erscheint am 24.8.2022).

SRF 1, «Kulturplatz», 4.5.2022, 22:25 Uhr.;

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