Lisbeth Sachs war eine der bedeutenden Architektinnen der Schweiz. Ihr Pech: Sie war eine Frau in der Männerdomäne der Architektur. Kaum jemand kennt heute ihren Namen, obwohl sie im Denken ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus war.
Schon mit 25 Jahren gewann sie einen Architektur-Wettbewerb: Ihr Entwurf für das Kurtheater Baden überzeugte, die Umsetzung allerdings verzögerte sich lange.
Als es endlich so weit war, konnte Sachs ihren Entwurf für das Kurtheater Baden nur in Begleitung eines männlichen Kollegen erbauen. Dieser hatte den zweiten Platz im Wettbewerb belegt. Nun lebt eines ihrer Gebäude auf der Architekturbiennale in Venedig wieder auf.
Gebäude im Gebäude
Was wäre, wenn Lisbeth Sachs den Pavillon der Schweiz in der Venedig gebaut hätte, fragte sich das Team aus Architektinnen und Künstlerinnen vom Frauenkollektiv «Annexe», das die Schweiz dieses Jahr auf der Architekturbiennale vertritt.
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Bild 1 von 5. Die Kuratorinnen (von links): Myriam Uzor, Elena Chiavi, Axelle Stiefel, Kathrin Fueglister und Amy Perkins im Schweizer Pavillon an der 19. Internationalen Architekturausstellung «La Biennale di Venezia». Bildquelle: Keystone/GAETAN BALLY.
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Bild 2 von 5. Leichtigkeit und fliessende Formen: Blick in die Ausstellung im Schweizer Pavillon an der 19. Internationalen Architekturausstellung. Bildquelle: KEYSTONE/Gaetan Bally.
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Bild 3 von 5. Ein Gebäde kurzzeitig «überschreiben»: Aufbau des von Lisbeth Sachs inspirierten Raum im Schweizer Pavillon. Bildquelle: Keystone/Gaëtan Bally.
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Bild 4 von 5. Der Raum ist nach oben offen, nur ein weisses Zeltdach ist darüber gespannt. Bildquelle: Keystone/Gaëtan Bally.
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Bild 5 von 5. Organische Formen, Offenheit, das Fluide: all das war Lisbeth Sachs wichtig. Bildquelle: Riccardo Banfi/Hochparterre.
Den Schweizer Pavillon hatte 1952 der berühmte Künstler Bruno Giacometti entworfen und gebaut – ein Zeitgenosse von Lisbeth Sachs. Übrigens wurde keiner der Pavillons, in denen die Länder Jahr für Jahr ihren Beitrag zur Biennale zeigen, von einer Frau erbaut. «Annexe» möchte auf diese historische Tatsache aufmerksam machen.
Nun treten ihre beiden Gebäude in einer «produktiven Fiktion» miteinander in Dialog: In Giacomettis Backsteinmauern ziehen der Geist von Lisbeth Sachs und ihre temporäre Kunsthalle aus dem Jahr 1958 ein. Die helle, fluide Architektur war im Rahmen der Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit entstanden.
Organisch, experimentell, inklusiv
Lisbeth Sachs hatte die Vision, die Landschaft in ihre Gebäude zu holen. Die Wände ihrer Kunsthalle streben von Kreismittelpunkten nach aussen. Sie setzen sich mitunter auch aussen fort. So scheinen sie die Weite zu suchen und lenken andererseits das Publikum nach innen.
Bildlich zeigt sich darin Sachs‘ Denken: Ihre Architektur sollte Räume schaffen, die allen Menschen zugänglich sind und soziale Teilhabe ermöglichen. Architektur verstand sie als einen organischen Prozess, der alle am Bau Beteiligten einbezieht.
Organisch sind Lisbeth Sachs‘ Bauten in der Form: oftmals rund, zellulär und fliessend. Ein schonender Umgang mit Ressourcen gehörte selbstverständlich dazu. All dies zeigt der Schweizer Pavillon in seiner räumlichen Installation. Eine Soundcollage betont zudem, dass auch im Zuhören für Sachs eine wichtige Qualität lag.
Natürliche und kollektive Intelligenz
Lisbeth Sachs wollte mit ihrer experimentellen und respektvollen Architektur Brücken schlagen, meint das Kuratorinnenteam. Damit ist sie ein perfektes Beispiel für den Geist, der auf dieser Architekturbiennale beschworen wird.
Weitere Pavillions
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Bild 1 von 4. Der Pavillon von Bahrain wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Bildquelle: Imago/Matteo Chinellato.
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Bild 2 von 4. Witz des polnischen Pavillons – über die Sicherheit im Haus. Bildquelle: Nikolaus Bernau.
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Bild 3 von 4. Die ägyptische Nachhaltigkeitswippe, von jedem Besucher und jeder Besucherin ausser Fassung zu bringen. Bildquelle: Nikolaus Bernau.
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Bild 4 von 4. Luftig und stoffig: der serbische Pavillion mit sich selbst aufzehrenden Wollgeweben. Bildquelle: Nikolaus Bernau.
Um die Herausforderungen der Zukunft, etwa den Klimawandel, zu meistern, brauche es kollektive und natürliche Intelligenz. Dafür stand Lisbeth Sachs in ihrem Denken und Handeln, das heute als zukunftstauglich erkannt wird. Ihre Hürde war es, eine Frau und um Jahrzehnte voraus zu sein.
Biennale-Chefkurator Carlo Ratti betont, dass in diesem Jahr mehr als 250 Frauen die Teams der Ausstellung in Venedig leiten. Die weibliche Komponente sei entscheidend. Der Schweizer Beitrag unterstreicht dies mit seiner Hommage an eine bislang unterschätzte Visionärin des Bauens.