Der Kubismus stellte alles in Frage. Er löste Umrisse auf, spielte mit Bild- und Bedeutungsebenen, verwandelte Formen und Figuren in Mosaike, in Puzzlesteine, die wir vor unserem inneren Auge neu zusammensetzen müssen.
«Hier geht es wirklich um das geistige Involviertsein. Wir brauchen unser gesamtes Kombinationsvermögen, unseren Verstand, der versucht Sinn zu machen aus dem, was wir sehen», sagt Kuratorin Eva Reifert.
Sie zeigt auf ein Gemälde von Georges Braques: «Krug und Violine». Auf den ersten Blick besteht das Bild einfach aus zahlreichen grau-braunen Flächen. Nach und nach lassen sich ein Violinensteg, Saiten und ein Krug entziffern.
In der Vorstellung entsteht ein Raum, eine Szene. Flüchtig und in Andeutungen. Morgen könnte die Szene schon wieder anders aussehen. Es gibt kein immer-gültiges Abbild der Welt.
«Das wird einschlagen»
1907 begannen Pablo Picasso und Georges Braques mit neuen Darstellungsformen zu experimentieren. Angeregt von traditionellem afrikanischem Kunsthandwerk und von den Werken Paul Cézannes. Braques und Picasso stellten ihre kubistischen Werke beim Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler aus.
Die Schau im Kunstmuseum Basel zeigt, was dann passierte: «Wir vollziehen nach wie Picasso und Braque ihren ungeheuren Dynamismus entfalten in diesem künstlerischen Dialog der Werke», erklärt Eva Reifert. «Dann kommen Künstler aus der zeitgenössischen Pariser Avantgarde, die bei Kahnweiler in der Galerie diese Werke sehen und die sofort wissen: Das wird einschlagen.»
Neuen Ausdrucksformen
Auf einmal malten alle kubistisch: Juan Gris, Fernand Léger, Robert und Sonia Delaunay. Braques und Picasso hatten zunächst Grautöne und Sujets wie Landschaft und Stillleben bevorzugt.
Jetzt wurde der Kubismus bunter, farbenfroher, vielfältiger. Albert Gleizes malt Footballspieler und Sonia Delaunay farbenprächtige «Elektrische Prismen».
Die umfangreiche Basler Ausstellung gibt einen wunderbaren Einblick in Entwicklung, Vielfalt und Modernität des Kubismus. Sie zeigt nicht nur berühmte Bilder, die man schon von Postkarten kennt. Sie zeigt nicht nur den rosa Wohlfühl-Picasso, sondern sie macht deutlich, wie Künstler mit Verve und Witz nach neuen Ausdrucksformen, einem neuen Sinn der Kunst gesucht haben.
Vertraute Strukturen lösen sich auf
Und sie zeigt, dass der Kubismus manchmal auch unheimlich nah am Weltgeschehen war. Am Ende des Rundgangs hängen Fernand Légers Akrobaten im Zirkus. Kubistisch dekonstruiert, mit Soldatenhelmen auf dem Kopf.
Léger verarbeitet in diesem Bild eigene Erfahrungen, sagt Eva Reifert: «Léger war damals im Krieg und schreibt, er kenne nichts kubistischeres als diesen Krieg, wo ein Mann mehr oder weniger akkurat in vier Einzelteile zerfetzt werden kann.»
Der Erste Weltkrieg und die folgende Modernisierung lösten vertraute Strukturen auf. Danach war die Welt kein schönes Tafelbild mehr. Sondern ein verwirrendes Mosaik. So, wie sie die Kubisten schon längst gesehen hatten. Diese Sichtweise macht sie bis heute aktuell.