Zum Inhalt springen

Pablo Picassos Frühwerk Ein melancholischer Meister malt sich in den Olymp der Kunst

Das frühe Schaffen des spanischen Malers ist geprägt von Armut, Einsamkeit – und der Suche nach Identität.

«Bei diesen Porträts ist er mir eigentlich ganz fremd.» Angela Rosengarts Worte lassen aufhorchen. Die 86-jährige Schweizerin war eine persönliche Bekannte Pablo Picassos und nimmt uns mit auf eine Zeitreise.

Im Studierzimmer des Museums Sammlung Rosengart in Luzern schaut sie sich Abbildungen an, die Picasso zwischen 1901 und 1906 zeigen – als Mittzwanziger. Damals entsteht sein Frühwerk: die Blaue und Rosa Periode.

Ein in Blautönen gehaltenes Gemälde zeigt zwei junge Männer
Legende: Das Gemälde «Acrobate et jeune arlequin» hat der junge Picasso 1905 geschaffen. Succession Picasso / 2019, ProLitteris, Zürich

Heutzutage wird der Spanier vor allem mit seinen späteren Arbeiten in Verbindung gebracht – also mit den Epochen der Abstraktion, die der Kubismus ab 1907 einläutet.

Weil dieser ältere Picasso im kollektiven Gedächtnis präsenter ist, wollen wir von Angela Rosengart umso mehr erfahren, ob sie schon im jungen Künstler die Wesenszüge des gestandenen ausmacht. Diesem begegnet sie erstmals 1949. Da ist Rosengart, Tochter eines Luzerner Kunsthändlers, 17. Picasso ist 66.

Eine ältere Dame blättert in einem Buch
Legende: Als junge Frau lernte Angela Rosengart Pablo Picasso kennen. Bis zu seinem Tod 1973 blieb sie mit ihm befreundet. SRF

Was sie in den Abbildungen sieht, ist «ein charmanter, etwas melancholischer junger Mann». Das passt gut zur schwierigen Situation, in der sich der Jüngling zu Beginn der Blauen Periode befindet.

Arm und allein in Paris

Sie zeugt vom Leid gescheiterter Existenzen, das er in den ärmlichen (Künstler-)Quartieren von Paris erlebt, nachdem er aus seiner Heimat Barcelona in die französische Hauptstadt aufgebrochen ist – allein und mittellos.

Gemälde eines Harlekins, der sich mit der linken Hand an die Schläfe fasst
Legende: «Arlequin assis» von 1901 ist eines der frühen Werke des spanischen Malers Pablo Picasso. Succession Picasso / 2019, ProLitteris, Zürich

Was Angela Rosengart weiter auffällt: Der junge Picasso verströme nicht «diese Ausstrahlung, die er später hatte». Daher die eingangs erwähnte Fremdheit. Ihm gehe noch die Aura ab, die dazu geführt habe, dass man in einem Raum mit vielen Menschen jeweils nur ihn sah.

Über 20 Jahre Freundschaft

Diese Wirkung ist ihr vertraut, denn ab 1949 besuchte sie ihn zusammen mit ihrem Vater wiederholt, um Werke von ihm zu kaufen. Daraus entwickelt sich eine Freundschaft, die bis zu Picassos Tod 1973 hält.

Porträt-Gemälde einer Frau in einem weissen Kleid vor blauem Hintergrund
Legende: Das Gemälde «Femme en chemise (Madeleine)» schuf Picasso zwischen 1904 und 1905. Succession Picasso / 2019, ProLitteris, Zürich

Dokumentiert wird diese enge Verbindung in der Sammlung Rosengart – mit Fotografien und Porträts, die Picasso von Angela Rosengart schuf. Sie sind Teil des Museums, das die warmherzige Frau in Luzern aufgebaut hat. Ihr Ziel: Werke aus dem Familienbesitz, die durch den väterlichen Kunsthandel zusammengekommen sind, zugänglich zu machen.

Darunter sind über 30 Gemälde von Picasso. Diese gehören allerdings weitgehend zu späteren Schaffensphasen. Deshalb sind sie nicht Teil der Ausstellung in Riehen (BS).

Komplexe Persönlichkeit

Die Brücke in die Zeit des jungen Picasso wollen wir auch mit Diana Widmaier Picasso schlagen. Sie kam zwar erst ein Jahr nach seinem Tod zur Welt, hat sich aber intensiv mit ihrem Grossvater auseinandergesetzt.

Ihn zu fassen, sei aufgrund der Komplexität seiner Person schwierig. Einerseits beobachtet die Kunsthistorikerin eine «immense Sensibilität», andererseits eine «ausgeprägte Kraft».

Ein in rosa und blau gehaltenes Gemälde eines Zirkuskünstler-Paares mit Kind. Daneben sitzt ein Affe.
Legende: In der Rosa Periode malte Picasso oft Zirkusleute – wie in «Famille de saltimbanques avec un singe» aus dem Jahre 1905. Succession Picasso / 2019, ProLitteris, Zürich

Das spiegelt sich in der Rosa Periode wider: Sie fokussiert auf Darstellungen von Zirkusleuten, insbesondere Harlekinen. Im Vergleich zur Blauen Phase, die viel Traurigkeit transportiert, verströmt diese in der Regel entscheidend mehr Lebenslust.

Seine Identität gefunden

Es ist der Moment, als Picassos erste Verkaufserfolge einsetzen. Sein Talent, das ihm früh bewusst werde, bringe ihn nun dazu, die Welt erobern zu wollen, so die Enkelin. Das könne man zwar als jugendliche Arroganz auslegen, sei aber mehr Zeichen einer tiefgehenden Entschlossenheit.

Zeugnis davon legen zahlreiche Selbstporträts ab. In Zeiten, in denen Fotografie und Kino aufblühen, will der aufstrebende Künstler, dass sich die Öffentlichkeit auch von ihm ein Bild macht – und setzt sich in Szene. Ab 1901 nennt er sich nicht mehr Pablo Ruiz Picasso, sondern schlicht und ergreifend Picasso. Er hat seine Identität gefunden.

Der junge Picasso in der Schweiz

Box aufklappen Box zuklappen
Gemälde in Blautönen mit zwei Paaren und einer Frau mit Baby
Legende: Succession Picasso / 2019, ProLitteris, Zürich

Der Blauen und Rosa Periode widmet die Fondation Beyeler ab Sonntag, 3. Februar 2019, ihre neue Ausstellung: die nach eigenen Angaben «hochkarätigste» in der Geschichte des Museums – und teuerste, mit einem Versicherungswert von vier Milliarden Franken. Sie beinhaltet eine umfassende Schau von Pablo Picassos figurativem Frühwerk.

Diese Identität beeindruckt Angela Rosengart. Sie ist überzeugt, dass die Neugierde und seine Art, auf Menschen einzugehen, ihn bis ins hohe Alter jung gehalten haben. Obwohl Picasso 1949 längst ein Weltstar ist, behält er ihr gegenüber seine Natürlichkeit bei: sein selbstbewusst-interessiertes Wesen. Das schätzt sie sehr.

Bei allem Gefühl der Fremdheit, das der Anblick des jungen Picasso in Angela Rosengart hervorruft: Grundlegende Züge der Überfigur sind also schon früh in ihm angelegt.

Meistgelesene Artikel