Wim Delvoye ist ein Provokateur. Ein charmanter und witziger zwar – aber ein Provokateur. Bekanntlich verkauft sich Skandalöses besser. Aber so einfach sei das nicht, sagt Delvoye. Seine Kunst koste ihn immer wieder Überwindung, er brauche Mut dafür.
Ironie helfe ihm. Wenn er ein Konzept entwickelt, dann muss er selbst also auch darüber lachen können: «Es braucht Ironie, damit man anfangen und die Furcht überwinden kann. Wenn man dann drin ist, gibt es nur noch die Leidenschaft.»
Diese Leidenschaft, diese Ernsthaftigkeit zeigt sich in den Werken, die nun in einer umfassenden Ausstellung im Tinguely Museum zu sehen sind.
Gute Kunst stört unsere Sehgewohnheiten
Natürlich sind seine Verdauungsmaschinen auf den ersten Blick belustigend – sofern man ein gewisses Mass an Fäkalhumor mitbringt: Die Maschinen sehen aus wie eine Mischung aus Biochemie-Labor und Waschsalon.
Doch dann beginnt man, über jene biochemischen Prozesse nachzudenken, die tagtäglich in einem selbst ablaufen. Das mag noch nicht gerade ein Kunstgenuss sein.
Aber wenn man darüber nachdenkt, wie heutzutage Maschinen menschliche Funktionen übernehmen, dann ist das erreicht, was gute Kunst kann: Sie stört unsere Sehgewohnheiten, lässt uns die Dinge des Alltags anders betrachten.
Sakraler Betonmischer
Das gilt für so vieles in Wim Delvoyes Werk. Als beste Beispiele stehen hierfür seine Baumaschinen und Werkzeuge, die er aus Stahl oder Holz im Massstab eins zu eins gebaut hat.
Draussen im Park vor dem Museum steht eine Art gotischer Sakralbau. Auf den ersten Blick ein Sakralbau, auf den zweiten Blick eine Betonmischmaschine von verblüffender Ästhetik: aufgebaut aus tausenden gotischen Ornamenten.
Auch dies sei in Zeiten des Modernismus, der klaren, schnörkellosen Linie eigentlich eine Provokation, findet Wim Delvoye und zitiert den Kunsttheoretiker Adolf Loos, der einst das Ornament als Verbrechen bezeichnet hat. «Wir wurden dazu ausgebildet zu glauben, dass Ornamente etwas Kriminelles haben. Ich begann diesen kriminellen Aspekt der Ornamente zu geniessen», sagt er.
«Ich absorbiere alles»
Viele der ausgestellten Werke quellen regelrecht über von Ornamenten aus der Gotik, dem Barock, aus der persischen oder indonesischen Handwerkskunst. Überhaupt: Dieses Werk ist voll von Zitaten aus der Kunstgeschichte und der Popkultur.
«Ich absorbiere alles», sagt Delvoye über sich. Er sei ein Plünderer und Aasfresser. Apropos fressen: Die Maschinen, die der Künstler «Cloaca» nennt, fressen ebenso. Die Maschine im Zentrum der Ausstellung, will gefüttert werden. Mitarbeiter des Künstlers geben ihr, was sie verdauen kann: frisches Baguette und Wasser. Damit läuft die Verdauungsmaschine. Und ja: Was hinten raus kommt, stinkt.
Kommerz ist ok
Ins Tinguely-Museum passt Maschinenkunst jeglicher Art. Dort, wo die Werke Delvoyes den Maschinen Tinguelys direkt gegenüberstehen, ergeben sich interessante Bezüge – oder auch Kontraste.
Auch Jean Tinguely war zu seiner Zeit ein Provokateur. Einer, der sich wie Wim Delvoye zu vermarkten wusste. Beiden gemein sind Witz, Scharfsinnigkeit, Hintersinn – und der kommerzielle Erfolg.
Wim Delvoye ist das recht: «Ich bin gerne kommerziell, solange ich keine Kompromisse machen muss.» Das hat Wim Delvoye freilich auch nicht nötig.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 14. Juni 2017, 11.30 Uhr.