Der Schweizer Künstler Markus Raetz war eine Art Magier. Ab den 1970er-Jahren machte er international Karriere: mit Zeichnungen, Bildern, Installationen und Plastiken. Und er zauberte seinem Publikum ein Lächeln ins Gesicht, egal wo er ausstellte.
Das klingt vielleicht kitschig, stimmt aber auch heute noch. Überprüfen lässt es sich in der ersten grossen Retrospektive nach Markus Raetz' Tod 2020.
Schweres leicht gemacht
Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern widmet sich den Skulpturen von Markus Raetz. Sie zeigt, wie leicht und beweglich sein kann, was üblicherweise statisch und schwer auf einem Sockel steht.
Bei Raetz verwandelt sich alles. «Alles fliesst, nichts ist fixiert», sagt Stephan Kunz, künstlerischer Direktor am Bündner Kunstmuseum, der die Ausstellung in Bern kuratierte.
Er animiert ohne Trickfilm
Eine kleine schwarz-weisse Skulptur auf einem Sockel ist zunächst nicht als etwas Bestimmtes zu erkennen: Das könnte eine abstrakte Form sein, eine Qualle oder eine Tänzerin mit weitem Rock.
Wer um den Sockel herumgeht, erlebt, wie sich die Form verändert: Etwas spitzt sich zu, anderes ballt sich zu zwei runden Dingern zusammen. Und plötzlich ist die Form als Mickey Mouse erkennbar.
Markus Raetz inszeniert mit der Skulptur «Form im Raum» ein Spektakel der Wahrnehmung und lässt die Formen durch die Bewegung der Betrachterinnen und Betrachter tanzen. Wer weitergeht, kann zusehen, wie sich die Formen auf dem Sockel wieder zerlegen.
Hier bleibt nichts stabil
Markus Raetz ist Trickster wie Künstler, seine Werke sind ebenso sehr Kunst wie Bildwitze mit einer gehörigen Portion Poesie. Kein Wunder, eignen sie sich hervorragend, um gefilmt oder fotografiert zu werden und auf Social Media in der kunstaffinen Bubble ein paar Likes abzustauben.
Aber so fein und lustig sich das alles ausnimmt, ist Vorsicht geboten: harmlos sind die Objekte nicht. Wer länger hinsieht, gerät auf den Schleudertest-Anlagen für die menschliche Wahrnehmung gehörig aus der Spur.
Markus Raetz' berühmte Wortplastiken etwa können einen unversehens in einen Abgrund drängender Fragen stürzen. Wieder verwandeln sich hier Dinge, die üblicherweise stabil sind.
Wer um die Skulptur herumgeht, sieht, wie sich die Buchstaben erst zu «YES», dann zu «NO» zusammenfinden und wieder zu «YES». Das Buchstabengeröll der Zwischenstadien ist interessant, unsere Augen können es aber nicht lesen.
Vergnügliche Widersprüche
Wenn nun etwas mühelos sowohl «Ja» als auch «Nein» sein kann, wird der Dualismus, der spätestens seit der Digitalisierung wieder weite Teile unseres Lebens prägt, kunstgerecht aufs Kreuz gelegt.
Dann herrscht entweder der totale Wankelmut, der reine Relativismus, der alles in Perspektiven auflöst. Oder aber das Ding und damit die Wirklichkeit selbst sind nicht fest und stabil, sondern eben veränderlich und «fluid», sowohl ja wie nein.
Wie auch immer Sie aus dieser erkenntnis- und wahrnehmungstheoretischen Zwickmühle herausfinden, selten lässt sich so vergnüglich über Widersprüche und ihre Aufhebung nachdenken wie in der Gesellschaft von Markus Raetz' Werken.