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Ein junger Mann, halb liegend in einem Sessel: mit der einen Hand hält er ein Buch, die andere stützt das Haupt.
Legende: Hat er von Oscar Wilde: Der Dandy lässt sich nicht in die Karten schauen – schon weil er lieber ein Buch liest. Wikimedia/Napoleon Sarony

Big Dada Künstler, Hochstapler und Punk: Der Dandy im Wandel der Zeit

Oscar Wilde war der Inbegriff des Dandys. Gut gekleidet, mit perfekten Manieren und einer extravaganten Geisteshaltung. Sein Neffe inspirierte mit seiner wilden, archaischen Auslegung des Dandytums die Dadaisten. Noch heute lassen sich Künstler von der Figur des Dandys inspirieren.

«Ich habe einen ganz einfachen Geschmack, für mich ist das Beste gerade gut genug», lautet das bekannteste Bonmot des irischen Dichters Oscar Wilde. Doch es ist mehr als die erlesene Kleidung, die den Dandy vom Rest der Gesellschaft abhebt.

Der Dandy treibt seine Selbstinszenierung auf die Spitze. In Gesellschaft parliert er zynisch frivol, gewandt und charmant. Er ist ein Spieler. Einer, der sich niemals in die Karten schauen lässt. Wer hinter der eleganten Maske steckt, geht keinen etwas an.

Big Dada

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1916, Erster Weltkrieg: Europa blutet. Nur in der kleinen Oase Schweiz herrscht vermeintlich Ruhe. Dort gründen Künstler Dada und revolutionieren die Kunst. Zum 100. Geburtstag begibt sich SRF Kultur auf Spurensuche – im Radio, Fernsehen und online. Denn: Dadas Geist lebt. SRF Kultur weiss wo.

www.srf.ch/bigdada

Der Dandy und sein verborgenes Ich

«Der Dandy mokiert sich über die Welt», sagt Patrick Frey, Kunstbuchverleger und Mitglied des Komitees «Zürich 100 Dada 2016». «Er kann anarchistisches Gedankengut mit sich herum tragen. Aber er zeigt das nie. Sein wahres Ich verbirgt er. Er könnte sogar Terrorist sein.»

Das Dandytum bietet die perfekte Verkleidung – für die Künstler um Dada war es eine Trotzreaktion. Im Hintergrund tobte der 1. Weltkrieg. Die existentielle Not der Emigranten, die sich 1916 im Cabaret Voltaire zusammenschlossen, war gross. Doch in der Uniform des Dandy konnte man dem Toben der Welt mit scheinbarer Nonchalance begegnen. Dandy und Dada: Das war wohl auch eine Überlebenshaltung.

Oscar Wildes wilder Neffe

Arthur Cravan, der Neffe von Oscar Wilde, 1887 in Lausanne geboren und aufgewachsen, diente den Dadaisten als Inspiration. Sein Leben war wild, gefährlich und die Bohème verhätschelte ihn dafür. Cravan war Poet, erbarmungsloser Kunstkritiker und Boxer. Ein Riesenkerl, durchtrainiert, gutaussehend, risikobereit. Die Regeln und Konventionen der sogenannten besseren Gesellschaft interessierten ihn keinen Deut.

Cravan floh vor dem Militär nach Amerika. Anfang 1919 verliert sich seine Spur nach einer Schiffstour in Salina Cruz, Mexiko. Sein Verschwinden lässt sein Leben noch geheimnisvoller wirken. «Das Leben ist die Kunst» war Cravans Motto. Genau darum faszinierte er die Dada-Künstler.

Der kaputte Rockstar als Dandy

Das Dandytum selbst verschwand nicht. Es entwickelte sich. David Bowies Ziggy Stardust war wie ein überzeichneter Dandy des Pop-Zeitalters. Quietschgrüner Anzug, die Haare kunstvoll verwildert, die Augen geschminkt. Mit Bowies perfekter Kunstfigur war der Dandy in den 1970er-Jahren angekommen.

«Lebe gefährlich» war eine Forderung der Dadaisten. Das passt auch zu den Anfängen der Punkbewegung der 1970er-Jahre. Johnny Rotten von den Sex Pistols ist in dem Sinne eine radikale Weiterentwicklung von Dada. Doch Punk ist inzwischen ein paar Jahrzehnte alt – wer sind die Dandys von heute?

Ein junger Mann in Anzug und Krawatte posiert, als wolle er sagen: «Kommt bloss her!»
Legende: Der letzte Dandy? Pete Doherty, britischer Pop-Poet. Reuters

Darf's ein wenig radikaler sein?

Heute zelebrieren sich zum Beispiel die britischen Künstler Gilbert und George konsequent als – ein wenig aus der Zeit gefallene – Dandys. Ihre Kunst ist eine radikale Selbstinszenierung. Doch ist das noch Dada?

Vielleicht trifft es am ehesten einer, von dem man es auf den ersten Blick nicht vermutet: Das Enfant Terrible des Britpop, Pete Doherty. Er ist Sänger bei Babyshambles, The Libertines und begabter Pop-Poet. Sein Hütchen und seine zu knappen Anzüge haben etwas dandyhaftes. Seine selbstzerstörerischen Drogenexzesse sind die bittere Konsequenz des «living dangerously».

Oder ist es der moderne Dandy am Ende doch dort zu finden, wo Patrick Frey ihn vermutef? Er sagt: «Die Trivialform von Dandytum ist heute tausendfach zu finden im Internet. Jedes Selfie ist eine radikale Selbstinszenierung. Das allerdings bedeutet: Die Attitude, das Bild des Dandys, zu der die Selbstinszenierung zwingend gehört, ist inflationär geworden. Denn den wahren Dandy umwehte stets ein Hauch von Exklusivität.»

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