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Buch über Lucius Burckhardt Der Spaziergang als Wissenschaft

Vor knapp 40 Jahren erfand der Basler Soziologe Lucius Burckhardt die Spaziergangswissenschaft. Sie soll dabei helfen, die Wahrnehmung zu überprüfen. Ein Buch gibt Einblicke in Burckhardts Nachlass.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das Buch «Landschaftstheoretische Aquarelle und Spaziergangswissenschaft» zeigt Aquarelle und Dokumente von Lucius Burckhardt.
  • Burckhardt gilt als Gründer der Spaziergangswissenschaft. Mit seinen Spaziergängen wollte er seine Studenten zum Thema Wahrnehmung schulen.
  • Seine Aquarelle hat Burckhardt nie als Kunst verstanden, sondern vielmehr als Konzentrat seiner landschaftstheoretischen Erkenntnisse.

Lucius Burckhardt

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Legende: Martin Schmitz Verlag

Der Schweizer Soziologe und Nationalökonom wurde 1925 in Davos geboren. In den 1980er-Jahren entwickelte er auf der Grundlage seiner Forschungen zu Soziologie und Urbanismus die Promenadologie, die Spaziergangswissemschaft. Er starb 2003 in Basel.

Lucius Burckhardts Spaziergänge während seiner Zeit als Professor an der Gesamthochschule in Kassel müssen ein Happening gewesen sein. Unzählige Fotografien dokumentieren diese legendären Spaziergänge.

Eine Auswahl zeigt nun das Buch «Landschaftstheoretische Aquarelle und Spaziergangswissenschaft» von Markus Ritter und Martin Schmitz. Diese Dokumente machen deutlich: Da waren Studierende gleichzeitig sehr aufmerksam und höchst vergnügt unterwegs.

Spaziergang mit Autoscheibe

Entweder spazierten sie, Autoscheiben vor sich hertragend, durch die Stadt, um die Stadt aus der Fussgänger – und Autofahrerperspektive gleichzeitig wahrzunehmen. Oder sie folgten Burckhardt durch ein hügeliges Gelände, um zu überprüfen, was der berühmte Captain Cook auf seiner Reise nach Tahiti eigentlich entdeckte.

Dabei führte Burckhardt ihnen vor Augen, dass ein Entdecker bloss das entdeckt und beschreibt, was er eh schon kennt.

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Kritisches Instrument

Als Planungskritiker war Lucius Burckhardt davon überzeugt, dass die Wahrnehmung der Landschaft eine knifflige Sache ist. Darum erfand er die Spaziergangswissenschaft als kritisches Wahrnehmungsinstrument.

«Die Spaziergangswissenschaft beschäftigt sich mit den vorfabrizierten Vorstellungen und dem, was von der Wirklichkeit wegfällt, wenn das Gesehene an dieses Bild angepasst wird», hielt Burckhardt fest.

Nicht nur spazieren, sondern auch malen

Diese Spaziergänge habe Burckhardt immer sorgfältig vor- und vor allem nachbereitet, erklärt Markus Ritter, der gemeinsam mit Martin Schmitz Burckhardts riesigen Nachlass betreut.

Aus diesem Archiv, das über 100 Kartons umfasst, haben die beiden Texte zur Landschaft und Fotografien, aber vor allem viele Aquarelle ausgewählt.

Buchhinweis

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Lucius Burckhardt: «Landschaftstheoretische Aquarelle und Spaziergangswissenschaft». Hrsg. von Noah Regenass, Markus Ritter und Martin Schmitz. Martin Schmitz Verlag, 2017.

Burckhardt habe oft aquarelliert, am liebsten in seinem Sommerhaus in Schönthal bei Langenbruck, erzählt Ritter und lacht: «Als man bei Burckhardts zu Besuch war, wurde Lucius Burckhardt rasch unruhig und wollte einem die Aquarelle zeigen und beobachten, wie man darauf reagierte.»

«Burckhardts Aquarelle sind voller Zitate»

Und tatsächlich: Burckhardts zarte Aquarelle sind in ihrer Skurrilität eine Herausforderung. Auf einem der Bilder blicken wir auf eine Weidelandschaft. Mitten drin eine Badewanne mit Wasser, dahinter eine Kuh, die glücklich trinkt.

Kuh trinkt aus einem Wassentrog - vor ihreine Steinplatte mit dem Schriftzug «Et in Arcadia ego».
Legende: Abb. aus dem Buch: «Lucius Burckhardt – Landschaftstheoretische Aquarelle und Spaziergangswissenschaft» Martin Schmitz Verlag

Links und rechts wird die Kuh von unterschiedlichen Landschaften flankiert: links eine wilde, rechts eine idyllische mit stattlichen Bäumen. Davor eine zerbrochene Steinplatte mit der Inschrift «Et in Arcadia ego». Doch welches Arkadien ist nun gemeint?

Die bäuerliche Landschaft mit der Kuh? Oder die romantisch wilde, oder in der idyllischen Landschaft, wie sie Nicolas Poussin gemalt hat? «Burckhardts Aquarelle sind voller Zitate», erklärt Ritter.

Der Rahmen beeinflusst die Wahrnehmung

Oder das Bild mit den Baumstämmen, die in einer weiten Landschaft einen groben Rahmen bilden und den Blick auf das Matterhorn lenken. Hier führt Burckhardt vor, wie ein Rahmen die Wahrnehmung der Landschaft entscheidend beeinflusst, so dass das Matterhorn zum Objekt und alles andere zur Nebensache werden.

Zwei Baumstämme ragen in den Himmel. Zwei Stämme verbinden die Bäume horizontal, so dass ein Rahmen entsteht.
Legende: Abb. aus dem Buch: «Lucius Burckhardt – Landschaftstheoretische Aquarelle und Spaziergangswissenschaft» Martin Schmitz Verlag

Als Kunst hat der Basler Soziologe und Planungstheoretiker seine Aquarelle nie verstanden. Sie sind vielmehr das Konzentrat seiner landschaftstheoretischen Erkenntnisse, gespickt mit Zitaten aus Kunst, Literatur und Landschaftsarchitektur.

Burckhardt-Revival – auch an der Documenta

Burckhardts Aquarelle erleben zurzeit ein eigentliches Revival. An der Documenta, der grössten Ausstellung für zeitgenössische Kunst, sind Burckhardts Aquarelle präsent.

Der Direktor der diesjährigen Documenta, Adam Szymczyk, hat sie während seiner Zeit als Leiter der Basler Kunsthalle kennen und schätzen gelernt.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 18.5.2017, 9:03 Uhr.

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