Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Ein Stein des Anstosses Das Geheimnis der «HEIE»: 4 Meter Marmor, 40 Jahre Streit im Dorf

40 Jahre nach der Aufstellung wurde die Skulptur «HEIE» des dänischen Bildhauers Jesper Neergaard auf der Alp Chabissen jetzt endlich eingeweiht. Es ist das Ende eines Streits, der das toggenburgische Dorf Ennetbühl fast entzweite.

Es war ein eindrucksvoller Zug, der da den Berg herauf pilgerte: Der Gemeindepräsident, das Jodelchörli Bergfründ und die Töchter und Söhne der ehemals verstrittenen Parteien. Mit 2000 Litern Wasser, bereitgestellt von der Gemeinde, wurde die Skulptur «HEIE» von Jesper Neergaard gewaschen. Die vier Meter Hohe und 24 Tonnen schwere Marmorskulptur hatte eine Reinigung bitter nötig. Ihr war in den Jahrzehnten nach ihrer Setzung übel mitgespielt worden.

Menschen auf grasbewachsenem Hügel unter bewölktem Himmel.
Legende: Pilgerzug zum Stein: Ennetbühl sucht Versöhnung mit der Skulptur und holt die damals verpasste Einweihung nach. SRF

«Chnoche» und «döör Grotze» waren noch die netteren Bezeichnungen für das Kunstwerk. Regelmässig wurde der «fremde Fötzel» mit Kuhdreck beschmiert und nicht wenige Ennetbühler hätten den monumentalen Marmorblock nach der Aufstellung am liebsten gleich wieder abgerissen. Der Kanton machte gar die Auflage, als Sichtschutz Bergahornbäume um das Kunstwerk herum zu pflanzen. Davon überlebt nur einer. Schlussendlich wurden die «HEIE» einfach totgeschwiegen.

Es sollte ein Symbol werden

Bis heute führt kein Wegweiser zur Skulptur. Kein Schild weist den Künstler aus oder liefert eine Erklärung. Einsam ragt «HEIE» auf 1346 Metern in die klare Alpenluft.

«Die Hauptpersonen in diesem Streit waren drei gleichaltrige Männer, die früher miteinander zur Schule gegangen sind. Das hat meinen Vater schon mitgenommen, dass so etwas, das mit uns nichts zu tun hatte, sie, die früher eine Gruppe Buben im gleichen Alter waren, als Männer auseinanderbringen konnte, so vehement», erzählt Emil Wickli, Sohn des ehemaligen Präsidenten der Ortsbürgergemeinde Ennetbühl.

Angefangen hat es, wie vieles im Leben, mit einer guten Tat: Das Zürcher Ehepaar Weingärtner gab 1985 die Skulptur beim befreundeten dänischen Bildhauer Jesper Neergaard in Auftrag. Zu ihrem gemeinsamen 60. Geburtstag wollten sie ein besonderes Zeichen setzen. Die Skulptur sollte ihre Ehrerweisung gegenüber der Schöpfung zeigen, ein Dank für ein gelungenes Leben, der Liebe und der Notwendigkeit der interkulturellen Verständigung.

Berglandschaft mit Tälerblick und Berghütte im Vordergrund.
Legende: Dieser Platz sollte es sein: die abgelegene Alp Chabissen. Um die Skulptur dort aufzustellen, musste jedoch erst einmal eine Strasse gebaut werden. Brigitte Schmid-Gugler

Ein ganzes Jahr wanderte Paul Weingärtner durch die Schweiz, um den perfekten Platz für die metaphysische Skulptur zu finden. Er fand den magischen Ort auf der Alp Chabissen, auf einem abgelegenen Hügel, weitab von Wanderwegen.

Versöhnung nach Jahrzehnten

In der Gemeindeversammlung wurde für die Setzung des Steins eine Baubewilligung erteilt, ohne Gegenstimme. Grund für die einfache Bewilligung war wohl auch, dass dafür eine neue Strasse durch das sumpfige Gebiet gebaut werden musste, die die Bauern gut brauchen konnten. Das Aufstellen der Skulptur löste dann aber unter der Dorfbevölkerung einen massiven Streit aus. Es gab bitterböse Lesebriefe in der Lokalzeitung, der Naturschutzbund St. Gallen-Appenzell schaltete sich ein. Ein Einweihungsfest gab es wegen des Streits nie.

Schwarzweissfoto von Kran, Lastwagen und Arbeitern, die grosses Objekt heben.
Legende: Die Skulptur des dänischen Bildhauers Jesper Neergaard wurde aus einem 24 Tonnen schweren Carrara Marmor gefertigt. 1985 wurde sie aufgestellt. Brigitte Schmid-Gugler

Die Lokaljournalistin Brigitte Schmid-Gugler arbeitete damals für das St. Galler Tagblatt und begleitete den Streit zuerst mit Artikeln, dann mit einem Buch und schliesslich verfilmte sie gemeinsam mit Andreas Baumberger den Dokfilm «Das Geheimnis der HEIE».

In ihrer Langzeitbeobachtung treten alle Akteure der Posse von damals noch einmal auf, auch die Verstorbenen. Dass die die Einweihung des Steins 40 Jahre nach seiner Setzung jetzt nachgeholt wurde, ist auch ein Akt der Versöhnung innerhalb der Gemeinde Ennetbühl.

SRF 1 , Sternstunde Kunst, 16.11.2025, 12:00 Uhr.

Meistgelesene Artikel