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Frankreich macht vorwärts Rückgabe von Raubkunst: «Eine Frage der Gerechtigkeit»

Frankreich überreichte diese Woche im Rahmen einer feierlichen Zeremonie 26 historische Kunstwerke an seinen Besitzer Benin. Warum geht das nach vielen anfänglichen Widerständen plötzlich so schnell mit der Restitution kolonialer Raubkunst? Frankreich-Kenner Jürg Altwegg über einen Sinneswandel, die Symbolpolitik von Emmanuel Macron und einen gewagten Vergleich.

Jürg Altwegg

Autor und Journalist

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Jürg Altwegg war lange Frankreich-Korrespondent für verschiedene Schweizer und deutsche Zeitungen sowie Radiostationen. Zuletzt als Frankreich-Kulturkorrespondenten der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Der Schweizer bezeichnet sich als «permanenten Grenzgänger» zwischen der deutschen und frankophonen Welt.

SRF: Die französische Kulturhistorikerin Bénédicte Savoy sprach angesichts der Restitution von einem Weltereignis, das mit dem Mauerfall in Berlin vergleichbar sei. Teilen Sie diese Einschätzung?

Jürg Altwegg: Die Rückgabe von kolonialer Raubkunst kann natürlich nicht mit dem Ende des Kommunismus verglichen werden. Aber trotzdem gefällt mir das Bild ganz gut. So wie man nicht gegen die Wiedervereinigung in Deutschland sein konnte, kann man nicht gegen die Rückgabe von Raubkunst sein.

Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, Würde und auch der Entwicklungspolitik. Es gab viele Vorbehalte und Ängste, aber dann ging es plötzlich sehr schnell, genau wie beim Fall der Mauer.

Westliche Museen geben nicht zum ersten Mal Kulturgüter an die Herkunftsländer zurück. Warum ist diese Rückgabe so bedeutsam?

Weil sie in einem politischen Kontext erfolgt. Frankreich gilt als das Mutterland der Kulturpolitik und ist bestrebt, seine Beziehung zu Afrika neu zu gestalten. Frankreich hatte beim Genozid in Ruanda eine üble Rolle gespielt, der Algerienkrieg liegt erst 60 Jahre zurück.

Die Rückgabe erfolgt zudem in einem intellektuellen, politischen Prozess. Gerade deshalb bekommt sie diese Bedeutung, zusätzlich durch die spektakuläre Inszenierung der Rückgabe. Das hat es noch nie gegeben.

Museumsbesucher betrachten hölzerne historische Kunstwerke aus Benin.
Legende: Ausstellung im Pariser Museum Quai Branly mit Werken, die an Benin zurückgegeben werden. Reuters/Pascal Rossignol

In Frankreich gab es grosse Widerstände gegen die Restitution. Auf Gesetzesebene einerseits, aber immer auch mit dem Argument, es gäbe in den Herkunftsländern keine geeigneten Institutionen für die Aufnahme von Objekten. Warum geht das plötzlich?

Die Frage der Infrastruktur in Benin wurde offensichtlich seriös abgeklärt. Da wird gebaut, Paläste werden renoviert. Es gibt Garantien, dass diese Kunst angemessen konserviert wird.

Man muss aber auch sagen: In Frankreich geschieht der Wille des Präsidenten. Das Parlament musste auf sein Geheiss ein Gesetz erlassen, das die komplizierte Herauslösung dieser Kulturgüter aus dem staatlichen Kulturbesitz ermöglichte.

Das ist natürlich Symbolpolitik. Aber auch Kulturpolitik wird immer mit Symbolen gemacht.

Die Zeit war also reif?

Es gibt viele Gründe, die das jetzt möglich gemacht haben. Das Klima hat sich verändert: Es wurden Denkmäler entfernt, die Napoleon-Statue in Rouen wurde abgebaut, es wurden Bilder beschmutzt … die Stimmung hat sich geändert.

Rund 90 Prozent der historischen Kulturgüter des afrikanischen Kontinents lagern in westlichen Museen. Allein das Museum Quai Branly in Paris besitzt 70’000 Objekte aus Afrika. Wenn jetzt mit viel Pomp 26 Objekte restituiert werden: Ist das nicht Symbolpolitik?

Das ist natürlich Symbolpolitik. Aber Politik, auch Kulturpolitik, wird immer mit Symbolen gemacht, in Frankreich erst recht. Macron hat als erster Präsident, anders als seine Vorgänger, seinen Wahlsieg vor dem Louvre gefeiert, dem grössten Museum der Welt.

Seit seine Reformen, die er angekündigt hat, nicht mehr vorankommen, betreibt er eine ausgesprochene Erinnerungspolitik. Auch diese Rückgabe zeigt das.

Holz-Skulptur mit einem Fisch-Menschen in einem Museum.
Legende: Ein historisches Kunstwerk an der Zeremonie in Paris, das nach Benin zurückgegeben wird. Reuters/Pascal Rossignol

Es werde bei diesem Ereignis ein Vorher und ein Nachher geben, sagte Bénédicte Savoy auch. Folgt jetzt eine Flut von Restitutionen?

Das glaube ich nicht, ganz im Gegenteil. Wichtig ist jetzt die Provenienzforschung, so dass man die Hintergründe der Objekte kennt, die in den Museen gezeigt wird.

Mir erscheint zudem wichtig, dass auch abendländische Kunst in Afrika gezeigt wird. Eine Zweigstelle des Louvre sollte nicht nur in Abu Dhabi gebaut werden, sondern auch in Afrika möglich sein. Man soll überall auf der Welt die Kunst der ganzen Welt sehen können.

Das Gespräch führte Irene Grüter.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 28.10.2021, 17:20 Uhr ; 

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