«Was machen die da?»
Wer dieser Tage den goldenen Saal im Haager Mauritshuis betritt, versteht die Frage des kleinen Kindes sehr gut. Denn für einmal dominieren nicht die alten Meister aus dem 17. Jahrhundert diesen Raum, sondern hohe Glaswände, hinter denen vier Wissenschaftler mit Computern, Scannern und Spezialkameras hantieren.
Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei einzig und allein dem Bild mit dem Titel «Das Mädchen mit dem Perlenohrring», das rahmenlos an einem verkabelten Metallgestell hängt.
Mit Hilfe der allerneusten Technik wollen die Forscher unter anderem herausfinden, wie viele Lagen der Maler Johannes Vermeer 1665 übereinander gemalt hat und welche Farben und Pigmente er für das Blau des Kopftuches oder das Gelbgrün der Jacke des Mädchens zusammen mischte. Gleichzeitig möchten die Fachleute wissen, ob Vermeer das «Perlenmädchen» zuerst skizzierte, bevor er den Pinsel zur Hand nahm.
Mobiles Glaslabor
Moderne Techniken machen es möglich, alle diese Fragen zu untersuchen, ohne dabei das Bild zu berühren. Das internationale Spezialistenteam arbeitet dabei mit so avancierten Geräten wie einem Fluoreszenzscanner für Makroröntgenaufnahmen, speziellen Infrarotkameras oder einem Digitalmikroskop. Die Fachleute würden auch gewisse neue Methoden anwenden, «von denen wir noch nicht wissen, was sie uns bringen werden», sagt die Museumsdirektorin Emilie Gordenker.
Zwei Wochen lang haben die Wissenschaftler vom Museum die Zeit bekommen, um rund um die Uhr in ihrem mobilen Glaslabor so viele Daten wie möglich zu sammeln. Danach muss das «Perlenmädchen» zurück an seinen angestammten Platz – es ist schliesslich der grösste Star in diesem königlichen Gemäldekabinett, das sich schräg gegenüber vom Büro des niederländischen Ministerpräsidenten befindet.
1994 gründlich gereinigt
Was die Forscher aus den Daten ablesen können, werden sie in den kommenden Monaten publizieren. Zweifellos würden aber aus diesen Resultaten wieder neue Fragen entstehen, die es zu beantworten gelte, ist die Museumsdirektorin überzeugt.
In der Regel wird ein Gemälde genauer unter die Lupe genommen, wenn eine Restauration fällig ist. Beim «Mädchen mit dem Perlenohrring» ist die aber nicht nötig. Das Bild sei 1994 gründlich gereinigt und restauriert worden, erklärt Gordenker, es sei in einem guten Zustand.
Vermeer hätte moderne Untersuchungen gebilligt
Als reines Luxusprojekt sieht die Museumsvorsteherin das «Mädchen-Im-Scheinwerfer-Projekt» dennoch nicht. Das Mauritshuis sei auch eine Forschungsanstalt, sagt sie dezidiert und fügt an: «Wir sind dafür eines der besten Zentren der Welt.» Wie viel Geld die fortschrittlichen Untersuchungen verschlingen, will sie allerdings nicht verraten.
Dafür beantwortet sie die Frage, ob Johannes Vermeer Freude gehabt hätte, dass sein Perlenmädchen so gründliche digital seziert wird. Der alte Meister, dessen Oeuvre im Vergleich etwa zu Rembrandt ziemlich bescheiden ist, habe sich in neue Techniken aus seiner Zeit, dem 17. Jahrhundert, vertieft. Deshalb denke sie, dass «er diese Experimente sehr interessant gefunden hätte», sagt Emilie Gordenker.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 6.3.2018, 17.10 Uhr