Eine kleine Landstrasse zieht sich durch das satte Grün eines dichten Waldes. Erst beim genauen Hinschauen ist zu erkennen, dass das prächtige Bild keine echte Landschaft zeigt. Es ist eine sogenannte «In-Game-Fotografie» – eine Szene aus einem Computerspiel.
«Call of Duty: Black Ops» heisst das Game – ein Schiess-Spiel, in dem wir unsere Gegner töten müssen, bevor sie das mit uns tun. Doch der Künstler Justin Berry hat sich dieser Rolle entzogen. Stattdessen ist er durch die weite Landschaft des Games gewandert, um Fotos zu machen.
«Dabei hat er ständig sein Spieler-Leben riskiert», erklärt Marco De Mutiis, der an der Hochschule Luzern zur In-Game-Fotografie forscht. «Dieser Gegensatz zwischen dem eigentlichen Inhalt des Games und der fotografischen Arbeit interessiert mich sehr.»
Ein kleiner Akt der Rebellion
Zusammen mit Matteo Bittanti hat De Mutiis die Ausstellung « How to Win at Photography » kuratiert, die das Fotomuseum Winterthur noch bis zum 10. Oktober zeigt. Dort sind auch drei Werke der amerikanischen Künstlerin Joan Pamboukes zu sehen. In Games wie «Grand Theft Auto» oder «Kill Zone» – nicht eben die friedfertigsten Titel – hat sie mit ihrer Kamera den Bildschirm abfotografiert.
Allerdings nicht die Kampfszenen, sondern nur einen Ausschnitt des Himmels. Die Ruhe und Harmonie, welche die drei abgebildeten Farbflächen ausstrahlen, stehen in starkem Kontrast zum eigentlichen Inhalt der Games.
Für Marco De Mutiis ein weiteres Beispiel für einen kleinen Akt der Rebellion, mit dem sich die Künstlerin der eigentlich für sie vorgesehenen Rolle entzieht: «Sie hat sich beim Spielen auf etwas fokussiert, an das die Entwickler des Games gar nie gedacht haben.»
«Death Stranding» statt das richtige Island
Doch es gibt auch Games, bei denen das Fotografieren mit zum Programm gehört. Im sogenannten Foto-Modus unterbrechen sie das Spiel und lassen in Ruhe und ohne Gefahr zu sterben, den besten Ort und Winkel für ein Foto suchen, die passende Blende wählen oder eine Aufnahme mit Filtern nachbearbeiten.
Diese Mittel werden immer öfter auch für Kunst-Projekte genutzt. Marco De Mutiis erzählt von einem befreundeten Fotografen, der eigentlich eine Reportage in Island hätte machen sollen. Weil die Corona-Pandemie eine Reise dorthin verhinderte, schoss er seine Fotos stattdessen im Game «Death Stranding», dessen Szenerie der isländischen Landschaft täuschend ähnlich sieht.
Autorenschaft ist nebensächlich
Doch ist es Kunst, einfach etwas zu zeigen, das man in einem Game gefunden hat? Die eigentliche kreative Arbeit haben schliesslich andere geleistet: Die Grafikerinnen und Designer des jeweiligen Game-Studios. Und dank Foto-Modus ist nicht einmal mehr eine eigene Kamera nötig, das Game selbst stellt die Mechanik zur Verfügung.
Marco De Mutiis kennt diesen Einwand- und hält ihn für wenig ergiebig. Er verweist auf die Kunstgeschichte, die «Objets trouvés»: Alltagsgegenstände, die nur deshalb zum Kunstobjekt wurden, weil der Künstler, die Künstlerin sie dazu erklärt hat
Nur nach Handwerk und Autorenschaft zu fragen, verstelle den Blick auf das eigentlich Wichtige, meint De Mutiis: «Statt nur auf die Oberfläche eines Bildes zu schauen, sollte man sich besser mit den Ideen dahinter beschäftigen.» Im Fall der In-Game-Fotografie also zum Beispiel mit der Frage, wie sich der subversive Akt, ein Game gegen seinen eigentlichen Zweck zu spielen, wohl auf die Welt ausserhalb der Computer-Spiele übertragen liesse.
Wir sind deine Korrespondenten aus der digitalen Welt. Ist ein Chip drin oder hängt es am Internet? Wir berichten wöchentlich. Smartphones, soziale Netzwerke, Computersicherheit oder Games – wir erklären und ordnen Digitalisierungs-Vorgänge ein, seit 2006
Um diesen Podcast zu abonnieren, benötigen Sie eine Podcast-kompatible Software oder App. Wenn Ihre App in der obigen Liste nicht aufgeführt ist, können Sie einfach die Feed-URL in Ihre Podcast-App oder Software kopieren.