Wer sich heute in ägyptischen Medien kritisch äussert, braucht eine grosse Portion Unerschrockenheit. Doaa El-Adl hat eine Menge davon: Das zeigen die Cartoons in ihrem neuen Buch «Die Welt der Frau», das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist.
In ausdrucksstarken Bildern bringt sie auf den Punkt, wie Frauen unter Traditionen und Gesetzen leiden, die ihre Selbstbestimmung verhindern. Das reicht von der einseitigen Verteilung der Hausarbeit, über gesetzliche Ungleichbehandlung, bis hin zu sexueller Gewalt oder Ehrenmord.
Debatten über heikle Themen anregen
Ihren schwungvollen Strich hat Doaa El-Adl als politische Karikaturistin geschult. Sie arbeitet in Kairo für die unabhängige Tageszeitung Al-Masry Al-Youm. Mit ihren satirischen und oft auch poetischen Cartoons möchte die 41-jährige Zeichnerin Debatten über heikle Themen anregen.
Das gelang ihr mit einem Cartoon über weibliche Genitalverstümmelung, der für heftige Reaktionen sorgte: Sie zeigt eine leuchtend rote Blume zwischen den Beinen einer Frau. Ein Mann nähert sich ihr mit einer offenen Schere – die Blume soll weg.
Viele Menschen, die keine Bildung haben, verteidigen die Genitalverstümmelung bei Frauen.
Eigentlich ist weibliche Genitalbeschneidung in Ägypten heute verboten, sagt Doaa El-Adl: «Doch in armen Gegenden kommt das immer noch vor. Viele Menschen, die keine Bildung haben, verteidigen die Genitalverstümmelung bei Frauen.»
Der religiöse Einfluss nimmt zu
Mit der Gleichstellung gehe es in Ägypten derzeit nicht voran, sagt Doaa El-Adl: «Frauen arbeiten nicht, weil sie frei und gleichberechtigt sind, sondern weil die wirtschaftliche Lage in Ägypten sehr schlecht ist.» Ausserdem nehme der Einfluss reaktionärer Religionsvertreter zu, die dafür plädieren, dass Frauen zu Hause bleiben.
Es braucht Mut, sich in Ägypten so kritisch zu äussern. Das Land ist auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen auf Platz 166 von 180 abgerutscht. Viele Journalistinnen und Journalisten sind derzeit in Haft.
Anklage wegen Blasphemie
Doaa el Adl wurde 2012 wegen Blasphemie angeklagt, weil sie in einer Zeichnung die politische Instrumentalisierung der Religion aufs Korn nahm.
Damals regierten für kurze Zeit die Muslimbrüder in Ägypten. Das Verfahren wurde 2013 nach dem Staatstreich eingestellt, der den Militärchef Al-Sisi an die Macht gebracht hat. Einfacher ist die Situation unter seiner Regierung für Medienschaffende nicht geworden.
Worauf muss Doaa El-Adl bei der Wahl der Themen für ihre Cartoons achten, um sich nicht in Schwierigkeiten zu bringen? Die 41-jährige Zeichnerin antwortet vorsichtig:
«In der arabischen Welt gibt es keine absolute Freiheit. Es gibt rote Linien – die waren immer da, und sie sind nach wie vor vorhanden. Zum Beispiel darf ein Cartoonist den Staatspräsidenten eines Landes in der arabischen Welt nicht kritisieren.»
Vorbei mit den Hoffnungen der arabischen Revolution
Doaa El-Adl betont, sie entscheide selbst, worüber sie zeichnen will. Die Redaktionen liessen ihr freie Hand.
Was auch immer «frei» in diesem Kontext heisst: Das Lebensgefühl von Doaa El-Adl ist es nicht.
Die grossen Hoffnungen auf Veränderungen, für die ihre Generation 2011 bei der arabischen Revolution auf die Strasse ging, haben sich zerschlagen: «In der ganzen arabischen Welt sind Menschen resigniert», stellt sie fest: «Die Situation ist schlechter als vor zehn Jahren. In Ägypten haben wir zwar keinen Krieg, aber wir fürchten, dass es jederzeit eine Überraschung geben könnte.»