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Koloniale Raubkunst Warum tut sich Europa so schwer, gestohlene Kunst zurückzugeben?

Für die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist klar: Koloniale Raubkunst gehört zurück nach Afrika. Widerspruch dagegen basiert oft auf Scheinargumenten.

In europäischen Museen stehen bis heute viele Kunstwerke aus Afrika. Vielfach handelt es sich dabei um koloniale Raubkunst. Wie umgehen damit? Zurückgeben, ausleihen, behalten?

Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy verfasste im Auftrag von Staatspräsident Emmanuel Macron und gemeinsam mit dem senegalesischen Sozialwissenschaftler und Musiker Felwine Sarr einen Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Sie vertritt eine klare Meinung.

Bénédicte Savoy

Kunsthistorikerin

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Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin und lehrt auch am Collège de France. Sie gilt als Expertin für Raub- und Beutekunst und verfasste 2018 als Co-Autorin einen Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter für den französischen Staatspräsidenten.

SRF: Etwa 90 Prozent der afrikanischen Kulturgüter sollen sich ausserhalb Afrikas befinden. Stimmt das?

Bénédicte Savoy: Ja, fast alles an historischer afrikanischer Kunst befindet sich in Europa und fast nichts auf dem afrikanischen Kontinent. Das ist ein Problem für die Zukunft der Beziehung zwischen Europa und Afrika.

Sie sprechen sich dafür aus, diese Kunstwerke und Kulturgüter zurückzugeben. Ist das denn überhaupt realisierbar?

Wir Europäer haben Verlustängste. Das macht die Restitution so schwierig. Niemand fordert aber die Rückgabe aller Kunstwerke. Die Länder, die seit den 1960er-Jahren entkolonialisiert sind, haben betont, dass sie einige für sie wichtige Stücke zurückhaben wollen.

Afrika hat ein Recht auf seine Kulturgüter und braucht einen Zugang dazu. Das müssen wir in Europa anerkennen. Europa und Afrika müssen sich auf Augenhöhe begegnen und zusammen kommunizieren.

Manche argumentieren, viele afrikanische Ursprungsländer seien nicht darauf vorbereitet oder nicht in der Lage, Kunst museal so zu verwalten, dass man dieser Kunst gerecht würde.

Das halte ich für eines von drei grossen Scheinargumenten. Das erste lautet: «Wenn wir ein Objekt zurückgeben, dann steht unser Museum leer.» Das zweite: «Wir wissen nicht, an wen wir die Kunst zurückgeben sollen. An den Staat? An ehemalige Besitzerfamilien?» Und das dritte: «Afrika hat keine Museen.» Das alles stimmt nicht.

Afrikanische Kollegen antworten da gerne: «Wenn mir jemand meinen Mercedes klaut und ihn mir zurückgeben will, dann kann er nicht voraussetzen, dass ich mir zuerst eine Garage baue; denn es ist mein Mercedes.» Diese Veranschaulichung sollten wir Europäer verinnerlichen.

Hinter diesen Scheinargumenten steckt oft eine Form von implizitem oder explizitem Rassismus. Wie geht man damit um?

Vieles beginnt mit der Sprache. Man muss sich also bewusst werden, wie man kommuniziert. Europäer haben oft das Gefühl, sie wüssten – im Gegensatz zu Afrikanern – was für Kunstwerke gut sei. Diese Form von Rassismus prangere ich an.

Wie wichtig sind Kunst und Kultur für die Identitätsfindung einer Gesellschaft? Ist die Kunst gar die primäre Identitätsquelle?

Die Kultur- oder Kunstgegenstände sind Spuren der Schöpferkraft mehrerer Generationen und diese Schöpferkraft hat natürlich mit der eigenen Entwicklung zu tun. Hat man keinen Kontakt mehr dazu, dann ist man ganz abgeschnitten von sich selbst.

Viele Kunstobjekte sind auch Subjekte, weil sie etwas mit der Gesellschaft machen. Sie überleben uns und durch sie können wir unsere Geschichten erleben.

Das Interview ist ein Ausschnitt aus dem Gespräch in der Sternstunde Philosophie. Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 11.10.2020, 11.00 Uhr ; 

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