SRF: Sind Sie nicht eher ein Forscher als ein Künstler?
Tomás Saraceno: Nein, das sehe ich nicht so. Bei mir kommt vor dem Messen immer zuerst das Fühlen, das Spüren. Wie präsentiert sich dieser Raum? Wie wirkt die Temperatur? Wie reagieren die Besucher? All das interessiert mich.
Sie beschäftigen sich aber sehr intensiv mit naturwissenschaftlichen Fragen.
Ja. Der Klimawandel ist ein derart drängendes Problem, dass es schlicht nicht zielführend ist, die Disziplinen der Kunst und der Wissenschaft zu trennen. Es braucht beide. Die Zusammenarbeit ist wichtig, damit ein Wandel möglich wird.
Worin besteht Ihr Beitrag?
Ich will zeigen, dass es zahlreiche Varianten von Ressourcen gibt. Wir sind heute extrem abhängig von fossilen Brennstoffen. All diese luftgefüllten Skulpturen in der Ausstellung bewegen sich aber nur mithilfe von Wärme. Für mich ist das eine sehr einfache Art, etwas darüber zu erfahren, wie wir uns in der Luft bewegen könnten.
Haben Sie deshalb das neue Zeitalter der Luft, das Aerozän, wie Sie es nennen, ausgerufen?
Genau. Das Aerozän soll das heutige Anthropozän, das Zeitalter mit dem Menschen im Zentrum, ablösen. Wir hinterlassen riesige ökologische Fussabdrücke. Wir zerstören damit möglicherweise unsere langfristigen Grundlagen, auf diesem Planeten zu leben. Für uns und für andere Lebewesen.
Wie sieht denn ihre Lösung aus?
Wir haben Versuche gemacht in der Wüste von White Sands in New Mexico. Dabei stellten wir 2015 einen Weltrekord auf. Es gelang, Menschen zwei Stunden über dem Boden schweben zu lassen. Ohne Sonnenkollektor, ohne Brenner, ohne Batterien. Nur durch die Wärme der Sonne und die Strahlung der Erdoberfläche. Das war ein magischer Moment.
Sehen Sie schon in naher Zeit eine Möglichkeit, dass Flugzeuge ersetzt würden?
Es geht nicht primär um unser Fortbewegen, um das Reisen. Sondern um eine Spekulation, wie wir in Zukunft auf unseren Planeten leben könnten: nämlich nicht nur horizontal auf der Oberfläche, sondern auch in der dritten Dimension, im Raum. Auf schwebenden Wolkenstädten beispielsweise.
Das hört sich alles recht utopisch an.
Mag sein. Aber wir wissen heute viel besser Bescheid über das Treiben im Wasser als über das Schweben in der Luft.
Dabei gibt es dort enormes Potential. Wir sollten eine neue Ethik entwickeln, wie wir mit der Atmosphäre umgehen. Das Aerozän soll eine Art Wiedergutmachung an unserer Erde sein. Ohne unseren zerstörerischen Fussabdruck. Das könnte ein wirklich grosser Schritt für die Menschheit werden.
Das Gespräch führte Richard Herold.