Die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt komme nach Bern. Das behauptet die deutsche Presseagentur DPA in einer Meldung. Sie stützt sich dabei auf Informationen «aus zuverlässigen Kreisen, die in die Verhandlungen eingebunden waren».
Auch gegenüber Radio SRF erklärte eine gut informierte Quelle, dass die für Montag geplante Medienkonferenz nicht angesetzt worden wäre, wenn das Museum das Erbe nicht annähme. Das Kunstmuseum Bern erklärt zu den Gerüchten, der Stiftungsrat des Museums habe noch nicht entschieden. Und die Meldung der Agentur DPA stimme nicht.
Offizielle Gewissheit über den Entscheid wird die Öffentlichkeit erst am Montag haben. Dann treten die deutsche Kulturstaatsministerin, der Justizminister des Bundeslandes Bayern und der Stiftungsratspräsident des Kunstmuseums Bern in Berlin vor die Medien. Sie werden, wie es in der Einladung zu einer Orientierung heisst, «über den weiteren Umgang mit dem Nachlass von Cornelius Gurlitt» informieren.
«Das Interesse ist riesig»
Der Entscheid des Kunstmuseums Bern, ob es das Erbe des deutschen Kunsthändlerssohns Cornelius Gurlitt antritt, war für kommende Woche erwartet worden. Nach deutschem Recht muss das Kunstmuseum bis spätestens Anfang Dezember die Erbschaft ausschlagen oder annehmen. Etwas überraschend kommt jetzt die Nachricht, dass in Berlin darüber informiert wird und nicht in Bern.
Aus diesem Umstand könne man aber keine Schlüsse ziehen, wie sich das Kunstmuseum Bern entschieden hat, sagt SRF-Kulturredaktorin Ellinor Landmann. Berlin sei eher gewählt worden, «weil das Interesse am Fall Gurlitt in Deutschland riesig ist und für den deutschen Staat eine grosse Bedeutung hat.»
Cornelius Gurlitt war im Mai im Alter von 81 Jahren gestorben. Als Alleinerben setzte er überraschend das Kunstmuseum Bern ein. Die Sammlung umfasst rund 1600 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken. Mutmasslich enthält das Konvolut auch Raubkunst, «entartete Kunst» und Werke, die ihre Besitzer in der Not des Zweiten Weltkriegs weit unter Wert verkaufen mussten.
Rückgabe von NS-Raubkunst versprochen
Zusammengetragen hatte die Sammlung Hildebrand Gurlitt, der während des Nazi-Regimes als Kunsthändler eine bevorzugte Behandlung genoss. Sein Sohn Cornelius hortete die Kunstwerke nach dem Tod des Vaters verschwiegen in seinen eigenen vier Wänden.
Im Falle einer Annahme der Erbschaft will sich das Kunstmuseum Bern an die Washingtoner Prinzipien zur Rückgabe von NS-Raubkunst zu halten, wie Museumsdirektor Matthias Frehner verschiedentlich betonte. Diese Prinzipien verpflichten zur Identifizierung und Rückgabe von Raubgut an berechtigte Anspruchsteller.
Weil sich die Museumsleitung monatelang zum Fall Gurlitt ausschwieg, wurden öffentlich Mutmassungen angestellt. Demnach soll die Herkunftsforschung in Deutschland verbleiben und die unbedenklichen Bilder nach Bern überstellt werden. Werke der sogenannten «entarteten Kunst» sollen an die Museen zurückgehen. Das Museum selber äusserte sich nie dazu.
Einzigartige Chance oder Giftschrank?
Über allem stand und steht die Kardinalfrage, ob sich das Berner Kunstmuseum, das von der öffentlichen Hand mitfinanziert wird, die Sammlung eines der wichtigsten Kunsthändler des Nazi-Regimes ins Haus holen soll.
Während die einen in der Übernahme der Gurlitt-Sammlung eine einzigartige Chance für das Berner Kunstmuseum, ja für das ganze Land sehen, warnen andere davor, diesen Giftschrank zu öffnen.
Experten heben hervor, dass Bern mit der Aufarbeitung des Gurlitt-Erbes die Chance erhalte, internationale Massstäbe bei der Aufarbeitung von Raubkunst zu setzen.
Bern wäre ein «Glücksfall»
Ein nicht unerheblicher Faktor in den Überlegungen des Kunstmuseums dürften die Kosten sein. Eine Aufarbeitung des umfangreichen Erbes geht ins Geld, da macht sich wohl niemand etwas vor. Kostentreiber sind etwa Provenienzforschung, Personal, Depotraum, Konservierung, Kuratierung und juristische Auseinandersetzungen.
Dass manche deutsche Politiker auf ein Ja aus Bern hoffen, ist kein Geheimnis. Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die am kommenden Montag anwesend sein wird, sprach schon vor Wochen von einem «Glücksfall», dass das Kunstmuseum Bern die Bilder bekommen soll.