Die meisten Kunstmuseen in der Schweiz wurden auf der Basis einer oder mehrerer Sammlungen gegründet. In der Museumsarbeit ist die Sammlung ein zentraler Wert. In den Ausstellungen sind allerdings nur Bruchteile dessen zu sehen, was in den Depots lagert. Experten schätzen, dass bis zu 90 Prozent der Werke in Museumsdepots selten oder nie ausgestellt werden. Und die Sammlungen wachsen stetig weiter.
Viel Kunst, wenig Raum
Die grossen Sammlungen müssen gepflegt werden. Es braucht geeignete Räume. Die Werke müssen inventarisiert, geprüft und bei Bedarf restauriert werden. «Alle Werke der Sammlung werden mit der gleichen Sorgfalt behandelt», versichert Matthias Frehner, Direktor des Kunstmuseums Bern.
Dem Kunstmuseum Bern geht es so wie vielen Museen in der Schweiz und in Europa: Die Sammlung ist gross, das Haus ist zu klein. 1879 erbaut, wurde das Museum bereits zweimal erweitert. Eine neue Erweiterung wird seit einigen Jahren diskutiert.
Zeugen der Sammlungsgeschichte
Die Platznot ist chronisch. Viele Werke der Sammlung befinden sich dauerhaft im Dornröschenschlaf. Arbeiten längst vergessener Künstler schlummern ebenso im Depot wie Werke von berühmten Kunstschaffenden.
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In Ausstellungen gezeigt werden kunsthistorisch bedeutende Werke, an denen sich bestimmte Entwicklungen und Charakteristika einzelner Künstler oder Strömungen gut ablesen lassen. Was wichtig sehenswert ist, entscheidet jede Generation für sich. «Jede Zeit setzt wieder andere Prioritäten, definiert die Kunstgeschichte neu», so Frehner.
Was tun mit all den Werken, die in der Sammeleuphorie vergangener Zeiten in die Museumsdepots gelangten und kaum je gezeigt werden? Für David Vuillaume, Generalsekretär des Verbands der Museen der Schweiz und des Internationalen Museumrats, haben auch Arbeiten, die nie ausgestellt werden, ihren Platz in einer Sammlung. Sie erzählen etwas über die Geschichte der Sammlung.
Verkauf nur mit klaren Regeln
Dennoch wird unter Museumsexperten die Frage diskutiert, ob Museen Werke aus ihren Sammlungen verkaufen dürfen. Fachleute nennen diesen Vorgang «Entsammeln» oder «Decollecting». Es gibt Häuser und Sammlungen, deren Statuten jeden Verkauf kategorisch verbieten.
Im Kunstmuseum Bern ist es theoretisch durchaus möglich, ein Werk zu verkaufen. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: Ein Kunstwerk darf nur veräussert werden, um ein anderes Kunstwerk zu erwerben: «Gelder durch Verkäufe zu generieren und für einen anderen Zweck einzusetzen ist nicht denkbar», erklärt Matthias Frehner.
Und: Ein Werk aus einer Museumssammlung sollte nur an ein anderes Museum verkauft werden. In diesem Punkt herrsche unter Museumsfachleuten Einigkeit, sagt Matthias Frehner. «Wenn man ein solches Werk veräussern würde, das ist Konsens in solchen Diskussionen, dann sollte man es zuerst anderen Museen anbieten, die von diesem Künstler noch nichts haben.»
Gezieltes Decollecting könnte dazu beitragen, Sammlungen besser zu strukturieren. Denn historisch gewachsene Sammlungen weisen oft Redundanzen auf. Ein Museum, das von einem Künstler mehrere Stillleben aus der gleichen Schaffensperiode besitzt, könnte seine Sammlung straffen, indem es einige der Stillleben abstösst. Dafür könnte das Museum etwas anderes vom gleichen Künstler oder aus der gleichen Zeit erwerben.
Gelungenes Beispiel: Niederlande
Einfach sei das Entsammeln aber nicht, warnt David Vuillaume. Das Veräussern von Kunstwerken müsse eine Ausnahme bleiben und sei überdies ein sehr komplexer Vorgang. Oft ist es auch schwierig ein Museum zu finden, das die Arbeit kaufen will und kann.
In den Niederlanden hat das Kulturministerium kürzlich eine Datenbank aufgeschaltet, auf der Museen Objekte veröffentlichen können, die sie anderen Museen zum Verkauf anbieten. David Vuillaume könnte sich ein ähnliches Modell auch in der Schweiz vorstellen: «Ich finde das Beispiel in den Niederlanden sehr gut; es funktioniert, es ist transparent, es ist ethisch.»