Sihlquai 125 in Zürich: Dort, wo früher in Seminaren der Zürcher Hochschule der Künste über Gegenwartskunst debattiert wurde, zimmern heute die Manifesta-Macher die Biennale für zeitgenössische Kunst. Fragt man, wo die Chefin sitzt, zeigt eine junge Assistentin einmal quer durch den Raum: «Hedwig sitzt überall. Mal hier und mal da. Meist ist sie sowieso unterwegs.» Kunstkataloge, leere Kartonverpackungen, gestapelt neben Papierbergen, dazu leere Gläser und gebrauchte Kaffeetassen. Zeit zum Aufräumen ist nicht.
Dann kommt Hedwig Fijen, zehn Minuten in Verzug. Die Manifesta taktet ihr Leben, seit 20 Jahren. Termin reiht sich an Termin: Wir haben eine Stunde für das Gespräch. Die studierte Kunsthistorikerin spricht über das Budget von 7,5 Millionen Franken, das sie in Gegenwartskunst verwandelt, über die tägliche Dosis Inspiration, die sie ihrem Mitarbeiterstab verabreicht, aber auch über die Pressekonferenz vom Morgen, an der sie kritisiert wurde, dass die Arbeitsbedingungen an der Manifesta miserabel seien. Das bestreitet die Direktorin vehement. Für einen Moment weicht die Entspannung aus ihrem Gesicht. Aber sie spricht das Thema aber von sich aus an. Hedwig Fijen mag es klar und offen.
Zürich, Amsterdam und bald Palermo
Hedwig Fijen isst eine Nektarine. Für mehr ist keine Zeit. Mit Gegenwartskunst den Bewohnern einer Stadt kritische Fragen zu stellen, neue Impulse zu geben, das ist eine Herkulesaufgabe. Im Faxgerät liegt das Protokoll der letzten Sitzung zu Palermo: Dort findet 2018 die nächste Ausgabe statt.
Manifesta bedeutet, ständig neu anzufangen, alle zwei Jahre wieder eine Bühne für die zeitgenössische Kunst zu schaffen. Für Hedwig Fijen heisst es auch, nie richtig in einer Stadt anzukommen. Sie leitet fast 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an drei Standorten: In Zürich, auf Sizilien und in Amsterdam, wo sich das Hauptquartier der Manifesta Foundation befindet.
Immer ein grosses Experiment
In der Geschichte der Kunstbiennale sind es oft nicht die Hotspots auf der Karte der europäischen Kulturlandschaft, die zum temporären Manifesta-Ort werden. Ljubljana, San Sebastián oder Genk sind Beispiele. Hedwig Fijen begreift ihre Arbeit und die ihres Teams als grosses Experiment, das auch scheitern kann. Rückschläge gehören zum Geschäft, damit hat sie gelernt umzugehen. Im Jahr 2006 sollte die Manifesta auf der geteilten Insel Zypern stattfinden, auf beiden Seiten der türkisch-griechischen Grenze. Geplant war eine Kunstschule, welche die beiden Landesteile näher zueinander bringen sollte.
Das Gegenteil ist geschehen: Nach politischen Auseinandersetzungen und auf starken politischen Druck der griechischen Seite, musste das Vorhaben abgesagt werden. Für die Kunstbiennale eine finanzielle Katastrophe, Hedwig Fijen spricht bis heute von «ihrem Trauma». Dennoch macht sie weiter, beharrt bei den nächsten Ausgaben auf den Dialog zwischen Kunst, Politik und Bevölkerung, geht keine politischen Zugeständnisse ein.
Die Interviewzeit ist schon überschritten, die Direktorin muss weiter. Letzte Frage: Hat sie noch Lust auf den Kampf für die Autonomie der Kunst? Ja, sagt sie. Trotzdem, die zwölfte Manifesta in Palermo sei ihre Letzte. Sie wolle ihr Leben zurück – eines wo nicht die Kunst, sondern sie selbst die Hauptrolle spiele.