Das Wichtigste in Kürze
- Designer sind heute mehr als Gestalter des Schönen. Das Design soll der Gesellschaft dienen: So entstand das «Social Design».
- «Diese Arbeitsweise steht für die Sinnsuche einer neuen Gestalter-Generation», sagt Design-Professor Michael Krohn.
- Beispiele: Objekte, die Demenzkranken helfen, Erinnerungen zu wecken. Oder: Ein Garten, der als Brückenbauer zwischen Asylsuchenden und Quartierbewohnern dient.
Ein Mann oder eine Frau sitzt im Atelier, denkt, zeichnet, denkt, zeichnet und dann ist er da: Der grosse Wurf. Die geniale Kreation. Es entsteht ein Objekt, so schön, so wertvoll, so begehrenswert.
Der Designer als einsamer Meister und Denker, der die Welt ab und an mit ästhetischen Objekten beglückt: Diese Vorstellung hat etwas Schönes, etwas Nachvollziehbares an sich. Ist aber gar gestrig.
Design im Demenz-Zentrum
Heute betätigen sich Designer im Garten, im Asyldurchgangs-Zentrum, in der Schule oder im Demenz-Zentrum. Sie verlassen das Atelier, um nicht nur für die Menschen, sondern mit ihnen etwas zu kreieren.
«Social Design» nennt sich das ganz zeitgeistig. Klar, in einer Branche, zu deren Kernkompetenzen auch das Verführen zählt, muss das Label stimmen.
Mehr als eine Verkaufsidee
«Social Design»: Ist das eine hübsche neue Verkaufsidee? Eine Innovation? Oder gar eine Revolution in der Design-Branche?
Michael Krohn bildet künftige Designerinnen und Designer an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK aus. Als Leiter des Masterstudiengangs stellt er einen Paradigmenwechsel in der Branche fest:
«Die Designer merken, dass sie bisher für eine Welt gearbeitet haben, die schon alles hat und wo es darum geht, ein Objekt noch in der fünfundzwanzigsten Ausführung zu designen. Wer aber über die globalisierte Welt nachdenkt, realisiert schnell, dass wir in Zukunft andere Sorgen haben werden.»
Kluge Ideen haben immer Platz
Unser Planet ist also komplett ausgestattet. Für kluge Lösungen hat es aber noch viel Platz. Mit einer solchen hat sich auch die Produkt-Designerin Annina Gähwiler beschäftigt.
Links zu den Projekten
Wir treffen uns in Zürichs Westen. Mit Blick auf den Prime-Tower und die Zürcher Hochschule der Künste erklärt sie mir, wie sie die Rolle des Designers heute versteht und warum dafür die Bezeichnung «Social Design» ganz gut passt.
Die Not diente als Inspiration
Die Gestalterin interessiert sich schon während ihrer Master-Ausbildung in London für gesellschaftliche Themen wie Demenz. Sie absolviert währenddessen ein Praktikum im Demenz-Zentrum Sonnweid im Zürcherischen Wetzikon.
Die Designerin wird Teil des dortigen Alltags, analysiert die Abläufe und kommt zum Schluss: Eine Aktivierungs-Möglichkeit für demente Männer muss her. Denn im Vergleich zu den Frauen fällt es den Männern dort deutlich schwerer, sich zu beschäftigen.
Bei Demenzkranken Erinnerungen wecken
Annina Gähwiler dokumentiert die Erinnerungen der Demenz-Patienten genauso wie ihre heutigen Bedürfnisse. Einblicke in die Lebenswelt eines ehemaligen Bauern inspirieren sie entscheidend.
Sie entwickelt einen Werkzeug-Koffer mit dem Namen « Nuts on Circles ». Darin sind unter anderem ein Kuhhorn, ausgestattet mit einem Gewinde, ein mit Fell bespanntes Rad oder ein neu interpretierter Stallschlüssel zu finden. All diese Objekte sollen, ohne Verletzungsgefahr, zur Aktivierung dienen und Erinnerungen wecken.
Ein «Produkt» kann auch ein Ort sein
Auf «Social Design» setzen auch die beiden Jung-Designer Lea Planzer und Sandro Poli. Für ihre Bachelorarbeit haben die beiden mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Durchgangszentrums Halle 9 in Zürich Oerlikon zusammengearbeitet.
Das «Produkt»: Einen Garten mit den Asylsuchenden und Anwohnern der angrenzenden Siedlung gemeinsam unterhalten. Für das Projekt « Becoming Neighbours » erstellen die beiden Designer einen genauen Zeitplan, organisieren Workshops, wo über Anbaustrategien und Grüngestaltung diskutiert wird.
Von Designer zum sozialen Gestalter
Der Garten wird zum Katalysator: Es geht es darum, kulturelle Brücken auf- und Bedenken abzubauen. Zwischen Stadtzürchern, Kohlrabi, Asylsuchenden und Salatköpfen nehmen die Designer eine Rolle ein, die noch vor wenigen Jahren für Sozialarbeitenden und Integrationsbeauftragten reserviert gewesen wäre.
«Diese Arbeitsweise steht für die Sinnsuche einer neuen Gestalter-Generation. Märkte brechen weg, in Ostasien wird nicht mehr nur produziert, sondern auch auf Hochtouren designt», sagt Professor Michael Krohn von der ZHdK.
Neue Tätigkeitsfelder in einer übersättigten Welt
Gestalterinnen und Gestalter sind also gefordert, für sich selbst neue Tätigkeitsfelder zu finden. Gerade wenn es um Migration, Überalterung oder Gesundheit geht, fängt jetzt eine jüngere Designer-Generation an sich damit zu beschäftigen. Da passt das Label «Social Design» wie die Faust aufs Auge.
Der Blick zurück in die Geschichte des Designs
Jeder Gegenstand steht für eine Epoche. Jeder Gegenstand spiegelt die gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen seiner Zeit. Krieg und Frieden, Umweltschutz, Konsum, Globalisierung, Trends, Moden – die Dinge des Alltags erzählen die Geschichte unserer Welt. Darum lohnt sich ein Blick in die Design-Geschichte des 20. Jahrhunderts:
Bauhaus: Form follows function
1919 gründete Walter Gropius das «Staatliche Bauhaus» als Kunstschule. Dort wurde die Unterscheidung von Kunst und Handwerk aufgehoben – ein Novum.
Der Sessel von Marcel Breuer von 1925 steht für die Ideen der Bauhaus-Architekten, die in der Zwischenkriegszeit als erste die soziale Frage thematisierten. Einfachheit und Funktionalität stehen im Vordergrund und die Frage: Wie organisiert man den Alltag in der modernen Grossstadt?
Die Form folgt der Funktion – eine Revolution in der Geschichte des Designs. Bauhaus beeinflusste die Designwelt bis weit in die 1970er-Jahre.
Die 1950er-Jahre: Kaufen, kaufen, kaufen
Nach dem Zweiten Weltkrieg soll die Welt wieder schön werden. Die Wirtschaft boomt, das Design beschwört eine heile Welt und bringt neue technische Geräte auf den Markt.
Die Rollen zwischen Mann und Frau jedoch erstarren zu Klischees. Was beide verbindet: Sie werden zu Konsumenten und sollen kaufen, kaufen, kaufen.
Stilbildend waren Charles und Ray Eames. Mit ihrem funktionalen Möbeldesign prägten sie das US-amerikanischen Nachkriegsdesign.
Die 1970er-Jahre: Verspielt und verträumt
Die 1970er-Jahre sind farbig. Einerseits viele bunte Formen, andererseits Kritik an der grenzenlosen Konsumkultur. 1971 veröffentlicht Victor Papanek sein Buch «Design for the real world» – eine Kampfschrift für ein neues Denken. Ökologie, sozialer Wandel, Nachhaltigkeit im Design – das sind seine Forderungen. Bekanntes Beispiel ist das von ihm für die Unesco entwickelte Tin-Can-Radio: Einzig betrieben durch Paraffin und einem Docht.
Die 1980er-Jahre: Hauptsache ausgefallen
Das Jahrzehnt der Selbstinszenierung. Antifunktionalität ist ein Stichwort: Provokation wird wichtiger als Nutzen. Diese neue Strömung wird unter dem Begriff «Neues Design» zusammengefasst. Ausgefallenheit und Einzigartigkeit stehen im Vordergrund. Das Objekt und sein Schöpfer, sie sind der Star – ein Phänomen, das man bis heute beobachten kann.
Philippe Starck ist einer der prominentesten Vertreter des «Neuen Designs». Ihm ist wichtig, was Design in Menschen auslöst – nicht nur die pure Optik.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 6.9.2017, 22.25 Uhr.