In den berückend schönen Stillleben des niederländischen Malers Willem Kalf scheint um 1660 alles in bester Ordnung. Weintrauben und eine Orange liegen gewohnt formvollendet neben glitzernden Schalen.
Erst auf den zweiten Blick sind Spuren der Globalisierung zu entdecken. Denn neben den Früchten spielen direkt aus China importierte Luxusgüter eine Hauptrolle: Zu sehen sind eine kostbare Porzellanschale und ein Nautilus-Pokal aus einer üppig mit Gold verzierten Muschel.
Fasziniert vom Fremden
Im 17. Jahrhundert eroberten nicht nur Luxusgüter aus China den niederländischen Markt: Exotische Waren aus dem sogenannten «Orient» entfachten eine eigentliche Orientbegeisterung, die sich auch in der zeitgenössischen Bildproduktion spiegelte.
Männer in Kaftanen und grossen Turbanen lockern Hochzeitgesellschaften oder Familienbildnisse auf. Sie stehen neben Familienmitgliedern im Gewand der niederländischen Calvinisten mit ihren schwarzen Umhängen und weissen Kragen.
Die Orientbegeisterung bezog sich nicht auf ein beschränktes geografisches Gebiet. Was den Niederländern fremd war, entfachte Begehren. So erweckten Orientteppiche, Muskat, seidene Hausmäntel, Muscheln, japanische Helme, Turbane und Krummsäbel die Sehnsucht niederländischer Konsumentinnen und Konsumenten.
Seidenröcke und Porzellan brachten Prestige
Der schönen Dinge waren viele. Der Handelsboom nach der Unabhängigkeit der Niederlande von Spanien brachte sie im 17. Jh ins Land. Noch verstärkt nach der Gründung der niederländischen ost- und westindischen Handelskompanien.
Wer es sich leisten konnte, bewies Geschmack: Man erwarb, sammelte und zeigte die schönen Dinge gerne her, unter anderem auf Bildern. Die Schattenseiten des Luxus zeigten die Bilder nicht: Gewalt, Kolonialismus, Sklaverei, Kriege.
Während der niederländische Handel mit exotischen Waren prosperierte, legte ein Maler namens Rembrandt in Amsterdam eine Karriere mit steilem Aufstieg und mehreren Abstürzen aufs Parkett. Als der berühmte Maler Konkurs anmelden musste, wurde ein Inventar seines Besitzes angelegt.
Nur darum ist bekannt, dass Rembrandt exotische Luxusgüter sammelte. Gerne staffierte er seine Modelle oder sich selbst mit Turbanen, Federn oder Säbeln aus seinem Fundus aus.
Die grosse Faszination, die von exotischen Waren ausging, löste allerdings kein tiefergehendes Interesse aus für die Kulturen, aus denen sie stammen. Es ging darum, sie zu besitzen. Und um das Glücksversprechen einer frühen Kosumgesellschaft. Heute würde man das als privilegierte Geschichtsvergessenheit und kulturelle Aneignung kritisieren.
Orient als Traumland
Doch für Rembrandt und seine zeitgenössischen Künstlerkollegen bot die exotische Staffage ganz konkrete Vorteile: Mit Kaftan, Krummsäbel und Turban staffierten sie ihre Bilder alt- und neutestamentarischer Bibelszenen mit zusammenfantasierten «Original-Kostümen» aus dem Morgenland aus.
Mit exotischen Luxusgütern erhöhten die Künstler zudem die Aufmerksamkeit für ihre Bildnisse. Die schönen Dinge aus fremden Ländern befriedigten Bedürfnisse, die im streng rationalen Calvinismus der Niederlande nicht bedient wurden: die Sehnsucht nach Ausserordentlichem.
In den Bildern mit Turbanen und anderen exotischen Gegenständen liess sich eine Sehnsucht ausleben, die im Alltag der schwarzen Roben und gestärkten Kragen keinen Platz hatte.