Im Tessin gedenken in diesem Jahr viele Anlässe dem Schriftsteller Plinio Martini, der dieses Jahr 100 Jahre alte geworden wäre. Der 1923 im kargen Bavonatal geborene Autor schrieb über den harten Alltag im Tal, der viele zum Auswandern zwang. Martini ist bis heute aktuell und beliebt.
Der Quizshow-Evergreen
Wie gross die Bedeutung Martinis ist, erkennt man auch daran, dass in Quizshows oft nach ihm gefragt wird. «Den Roman ‹Nicht Anfang und nicht Ende› kennen viele, obwohl sie ihn gar nicht gelesen haben», sagt Matteo Ferrari, der seine Doktorarbeit über Plinio Martini verfasst. «In Quizshows wird häufig gefragt, wie der Titel des berühmten Romans von Plinio Martini lautet.»
Archivbilder von Plinio Martini
In «Nicht Anfang und nicht Ende» von 1974 erzählt der Tessiner Autor mit einfacher und gleichzeitig poetischer Sprache vom harten Alltag der mausarmen Tessiner Talbevölkerung. Die Liebe blieb damals oft auf der Strecke: Als der Auswanderer Gori aus Kalifornien zurückkommt, ist seine grosse Liebe tot.
Lebensnaher Lese- und Schulstoff
«Plinio Martini wird nicht nur in Italienischstunden gelesen, sondern auch im Geschichts- oder Geografieunterricht», sagt Matteo Ferrari. «Der Roman funktioniert auch als historische Quelle. Viele Tessiner sind nach Amerika emigriert, weil hier der Hunger zu gross war. Das ist noch gar nicht lange her.»
Der Schriftsteller hilft den Tessinern und Tessinerinnen, nicht zu vergessen, woher sie kommen. Sein Werk ist aber nicht nur lehrreich, sondern auch spielerisch, und es schafft Nähe zum Leser und zur Leserin.
Martini verwandelte wirkliche in literarische Orte, indem er ihnen fiktive, sprechende Namen gab: Das Val Bavona wurde beispielsweise zum Val Soldina.
«Durch den Bau der Staumauer veränderte sich das Tal massiv. Die Staumauer brachte denen, die sie erbauen liessen, viel soldi, viel Geld. Darum Valsoldina», erklärt Ferrari. «Es waren aber Auswärtige, nicht die Tessiner, die damit Geld machten.»
Ein Zungenschlag für alle Fälle
Dass Martini heute noch beliebt sei, liege auch an seinem frischen Schreibstil, so Ferrari. Wie souverän er mit Sprache umgehen konnte, zeige sich daran, dass er den Stil zwischen seinen beiden grossen Romanen «Nicht Anfang und nicht Ende» (1970) und «Requiem für Tante Domenica» (1976) komplett veränderte – innerhalb von nur fünf Jahren.
Der Stil des zweiten Romans ist deutlich komplizierter. Damit habe er die Kritiker begeistert: «Requiem für Tante Domenica» wurde von einem italienischen Verlag veröffentlicht, der grosse Traum jedes Tessiner Schriftstellers.
«Es wird erzählt, dass Plinio Martini 1976 mit dem Auto vom Maggiatal nach Mailand fuhr, um seinen zweiten Roman dort vorzustellen. Das grosse positive Echo hat ihn sehr gefreut.»
Vom Stall in die Bank
Der Wandel in seiner Heimat hingegen sei für den Schriftsteller ein Grund zur Besorgnis gewesen: Im Tessin ging der wirtschaftliche Wandel so rasant vorwärts, dass die Menschen direkt aus den Ställen in die Banken arbeiten gingen.
Ein Umbruch, der Plinio Martini zu denken gab, weil er viele Menschen orientierungslos machte. Martini selbst blieb dem Tessin bis zuletzt treu. Er starb 1979 in seinem Heimatdorf Cavergno im Bavonatal.