Pippi Langstrumpf ist das wohl aussergewöhnlichste Kind der Welt. Sie macht den ganzen Tag nur, was ihr gefällt, backt Kekse auf dem Boden und schrubbt diesen tanzend – mit an die Füsse gebundenen Bürsten. Sie ist so stark, dass sie ihr Pferd hochheben kann und so geschickt, dass sie einhändig ihre Zöpfe flicht. Generationen von Kindern hat sie damit inspiriert. Dieses Jahr wird Pippi Langstrumpf 80 Jahre alt.
Doch hinter dem kecken Mädchen stecken Erfahrungen aus einer dunklen Zeit: Astrid Lindgren hat Pippi Langstrumpf während des Zweiten Weltkriegs geschaffen und kurz danach publiziert – was das Kind zur Symbolfigur macht.
Nachkriegskind Pippi
Von ihrer Wohnung in Stockholm aus hat Astrid Lindgren den Krieg miterlebt: Als Mitarbeiterin des Nachrichtendienstes las sie Briefe, die etwa schwedische Soldaten aus dem Ausland in die Heimat schickten. Lindgren arbeitete bei der Briefzensur. «Sie las die Briefe jeweils nachts und bekam die Gefahren des Krieges direkt mit», sagt Viveca Ekelund von der Astrid-Lindgren-Gesellschaft.
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Bild 1 von 5. Die «Ur-Pippi»: So sah die erste, von Astrid Lindgren gezeichnete Pippi Langstrumpf aus – hier auf einer Ausgabe des ursprünglichen Manuskripts Lindgrens, aufgenommen in einer Stockholmer Bibliothek. Bildquelle: SRF / Felicie Notter.
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Bild 2 von 5. Bekannt geworden ist Pippi Langstrumpf dann so, wie sie Illustratorin Ingrid Vang Nyman gezeichnet hat …. Bildquelle: IMAGO / TT.
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Bild 3 von 5. … und als Filmfigur, verkörpert von der Kinderdarstellerin Inger Nilsson. Bildquelle: KEYSTONE / EPA / PRESSENS BILD / Delden.
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Bild 4 von 5. In Astrid Lindgrens Wohnung entstanden die Geschichten von Pippi Langstrumpf – erst als mündliche Erzählung für Tochter Karin, dann erst in Stenografie festgehalten und schliesslich ins Reine getippt. Bildquelle: SRF/Felicie Notter.
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Bild 5 von 5. In ihren «Kriegstagebüchern» verarbeitete Lindgren ihre Erfahrungen des Krieges. Als Mitarbeiterin des schwedischen Nachrichtendienstes arbeitete sie für die Briefzensur und bekam die Schilderungen der Soldaten aus dem Ausland ungefiltert mit. Bildquelle: SRF/Felicie Notter.
Diese Erfahrungen verarbeitete Lindgren in ihren Kriegstagebüchern, die vor rund zehn Jahren veröffentlicht wurden. «Astrid Lindgren wusste damit sehr viel über den Krieg, mehr als die meisten anderen.»
Auch wenn Schweden im Zweiten Weltkrieg neutral war wie die Schweiz, sei es eine schwierige Zeit gewesen. «Es ging der Familie verhältnismässig gut, aber die Besorgnis über den Krieg war gross.»
Durch und durch antiautoritär
Literaturwissenschafterin Elina Druker von der Universität Stockholm hat zu Pippi Langstrumpf geforscht. Für sie ist klar, dass Pippi Langstrumpf einen Kontrapunkt zu Krieg und Unterdrückung markiert. «Lindgren wollte mit Pippi eine antiautoritäre Figur schaffen: ein Kind, das Normen bricht, aber auch die Machtverhältnisse hinterfragt – vor allem die negative, totalitäre Macht.»
Pippi sei damit weit mehr als nur ein eigensinniges Mädchen. «Man sollte in Pippi nicht ein echtes Kind sehen wollen – sie ist eine satirische Karikatur, mit der sich Lindgren über die Gesellschaft lustig machen und den Finger auf den wunden Punkt legen konnte.»
Damit stehe Pippi Langstrumpf laut Druker auch für einen Wendepunkt in der nordischen Kinderliteratur – weg von der Zeigefingerpädagogik hin zum freien Kind. Astrid Lindgren habe mit Pippi diesem neuen Geist Ausdruck verliehen.
Pippi gegen Adolf
Damit sei Pippi grundsätzlich politisch. Das zeige sich insbesondere in den originalen Manuskripten – doch auch in konkreten Figuren wie dem «starken Adolf». Der angeblich stärkste Mann der Welt hat einen Schnurrbart und wird, in der schwedischen Originalversion, mit deutschem Akzent beschrieben.
«Diese Figur ist sehr interessant», so Drucker. «Sie sieht aus wie eine Karikatur, die Adolf Hitler und seine militärische Macht ins Lächerliche zieht.» Typisch sei auch, dass Pippi den starken Adolf zwar bezwinge, ihn dabei aber nicht wirklich verletze: «Es ist okay, viel Macht und Stärke zu haben», sagt Druker. «Aber man darf nicht böse sein.»