Das Wichtigste in Kürze
- Verena Stefan ist in der Nacht auf Donnerstag an den Folgen ihrer Krebserkrankung gestorben.
- 1975 schrieb Verena Stefan «Häutungen» und löste damit einen Boom von feministischen Erfahrungsberichten aus.
- Sie verstand es in ihren Büchern feinsinnige Porträts von Menschen zu zeichnen, die Opfer wurden ihrer Zeit.
Sie sehe aus «wie die schönere und langhaarige Schwester von Viginia Woolf», beschrieben einst Literaturkritiker die Bernerin Verena Stefan. Hinter der fragilen Erscheinung nahm man stets eine hoch-differenzierte, humorvolle und starke Persönlichkeit wahr.
Eine dicke Haut brauchte sie, als sie mit 28 in Berlin – dank «Häutungen» – plötzlich zur literarischen Revolutionsführerin der Frauenbewegung wurde, die mit dem Patriarchat abrechnete.
Der Beginn der «Frauen»-Reihen
Erstmals hatte eine Autorin – in der Ich-Form – unverblümt über ihre Enttäuschungen in Männer-Beziehungen und über die Entdeckung des eigenen Begehrens geschrieben.
Bis heute ist der Bericht – mit einer Auflage von über einer halben Million Exemplare – das erfolgreichste Buch jener Gattung, die es selber begründet hatte: «Häutungen» löste nämlich damals einen Boom von feministischen Erfahrungsberichten aus und liess etliche Verlage, eigene «Frauen»-Reihen starten.
Neid und Missgunst
Für Verena Stefan selber war dieser Erfolg zwiespältig: Einerseits brachte er ihr finanzielle Unabhängigkeit – andererseits trennte er sie von ihren Seelenschwestern in der Frauenbewegung.
Noch Jahrzehnte später dachte sie ungern an jene Zeit zurück: «Wir lebten damals noch in der Illusion, dass alle gleich sind; wir waren alle arm, wir hatten alle Ambitionen, wir waren alle kreativ. Und dann wird eine plötzlich berühmt. Das hat viel Ressentiments und Neid ausgelöst.»
Biografisches als Nährboden
Verena Stefan brauchte damals längere Zeit, um sich wieder neu zu positionieren. Unbeirrt ging sie ihren literarischen Weg, wobei sie ihre Stoffe weiterhin primär im Biografischen suchte.
Im Band «Es ist reich gewesen» schrieb sie eindringlich über das Sterben ihrer Mutter und legte sich Rechenschaft ab über das begrenzte Leben, das dieser Frauengeneration noch aufgezwungen worden war.
Erinnerung an ihren Grossvater
Im Roman «Fremdschläfer» beschäftigte sich Verena Stefan mit ihrer Krebserkrankung und im jüngsten Buch «Die Befragung der Zeit» – 2014 erschienen – setzte sie ihrem Grossvater ein literarisches Denkmal: Dieser hatte als Dorfarzt im Bernbiet mehrfach Schwangeren illegal zu Abtreibungen verholfen, und war in Folge in die Mühlen der Justiz geraten.
Grosse Sensibilität
Einmal mehr zeigte sich in diesem Roman Verena Stefans grosse literarische Stärke: Sie verstand es in ihren Büchern immer wieder, feinsinnige Porträts von Menschen zu zeichnen, die – gefangen in eigenen Mustern – Opfer wurden ihrer Zeit. So gesehen trug sie bei zur «Geschichtsschreibung von unten», die uns Einblick gewährte ins schwierige Schicksal von ganz gewöhnlichen Leuten.
Das Schreiben stand für Verena Stefan stets an erster Stelle. Und es brauchte Mut und Kraft, sich aus dem Schatten ihres eigenen Superlativs «Häutungen» zu befreien.
Zweimal hatte sie ihre Zelte abgebrochen und an einem neuen Ort von vorne begonnen. Erstmals 1967 – im Alter von 20 Jahren – als sie vom beschaulichen Bern ins bewegte Berlin zog. Zum zweiten mal 1998, als sie – der Liebe wegen – nach Montreal übersiedelte. Dort ist sie jetzt – kurz nach ihrem 70. Geburtstag – an den Folgen ihrer Krebserkrankung gestorben.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 1.12.2017, 6.50 Uhr.