Da ist zunächst einmal Max Frisch. Er gibt der Ausstellung den Namen: «Frischs Fiche und andere Geschichten aus dem Kalten Krieg» . Und so macht er, der Prominenteste, den Auftakt: mit seiner Wut, als er kurz vor seinem Tod erfuhr, dass er über Jahrzehnte von der Bundespolizei überwacht und fichiert worden war.
Max Frisch schnitt seine Fiche auseinander, klebte sie auf Papier und kommentierte sie: wo die Schnüffler geschlampt hatten, wo sie etwas übersehen hatten, wo sie nicht präzise waren.
Es war ein Schrei der Empörung über das niederträchtige, widersinnige und von Paranoia getriebene Gebaren eines Staates, der sich gleichzeitig als Gralshüterin der Demokratie darstellte.
Das Typoskript «Ignoranz als Staatsschutz?» von 1990 war Frischs letztes Werk. Das Original ist im Strauhof ausgestellt.
Jetzt geht es richtig los
Aber wer nicht lesen mag, muss nicht. Denn nach Frisch geht es in der Ausstellung erst richtig los – und da dürfen Besucherinnen und Besucher zuhören und Filme schauen. In abgedunkelte Boxen setzt man sich Kopfhörer auf und richtet den Blick auf den Bildschirm.
Dort präsentieren Schauspielerinnen und Schauspieler Texte, die allesamt die 1980er-Jahre zum Thema haben. Elf Texte sind es – von Franz Hohler, Mariella Mehr, Niklaus Meinberg, Otto F. Walter, Lukas Hartmann, Laure Wyss.
Überleben, aber wofür?
Die Texte machen Eindruck, bisweilen sogar Gänsehaut. Etwa wenn Gertrud Wilker die damals weit verbreitete Angst vor einem Atomkrieg aufgreift und dystopisch das Leben in einem Atombunker schildert: Ein Atomschlag auf Liebefeld bei Bern hat alles vernichtet. Die Autorin will überleben, und nichts vergessen, um später erzählen zu können. Nur: «Wem? Wem erzählen?»
Franz Hohler ist mit dem Text «Die Rückeroberung» vertreten: Die Natur bemächtigt sich der Stadt – Raubvögel, gefährliche Reptilien, Hirsche, Bären. Eine Satire auf den Raubbau an der Natur: Er war bereits damals, im Zeitalter des Waldsterbens, ein grosses Thema.
«Sexistische Literatur!»
Oder dann das Pamphlet von Mariella Mehr von 1984: In «gopferdeckelduseckel» rechnet sie mit den Strukturen im damaligen Literaturbetrieb ab.
Die Autorin empfindet sie als völlig überkommen und patriarchalisch. Und sie greift ihre männlichen Kollegen mit dem verbalen Zweihänder frontal an – sie seien Produzenten «provinzlerischer und sexistischer Literatur».
Die Kraft literarischer Texte
Neue Texte gibt es in der Ausstellung keine. Das braucht es auch gar nicht. Denn das Originelle ist, dass im Strauhof die elf Texte aus den 1980er-Jahren an einem Ort versammelt sind und auf diese Weise Querbezüge ergeben.
Am Ende des Rundgangs formt sich kein vollständiges Bild der Schweiz im letzten Jahrzehnt des Kalten Kriegs. Wie wäre dies auch möglich. Aber es ist ein Kaleidoskop entstanden von Schlaglichtern auf jene Epoche, die Generationen geprägt hat.
Und was die Ausstellung auch zeigt: Dass es gerade mittels literarischer Texte möglich ist, vergangenen Epochen neues Leben einzuhauchen.
Sendungen:
- Radio SRF 1, Treffpunkt, 14.06.2017