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Beruf: Schriftsteller Schreiben – ein Spagat zwischen Kreativität und Kalkül

Wer als Autorin oder als Autor im sogenannten «Literaturbetrieb» unterwegs ist, führt oft ein Leben voller Abhängigkeiten. Viele Literaturschaffende leiden unter finanziellen Schwierigkeiten und der knallharten Konkurrenz auf dem Buchmarkt. Kommt dazu, dass der Zugang zum Betrieb nicht allen offen steht. Die Literatursoziologin Carolin Amlinger bringt Licht in dieses Gewirr.

Carolin Amlinger

Soziologin

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Carolin Amlinger ist Literatursoziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Basel. Sie ist die Autorin der Studie «Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit» über den Literaturbetrieb und die Arbeitsbedingungen von Autorinnen und Autoren.

SRF: Sie haben für Ihre Studie über das literarische Arbeiten mit rund 20 Autorinnen und Autoren Interviews über deren Lebensrealität geführt. Welche Antworten waren am überraschendsten für Sie?

Carolin Amlinger: Zum Beispiel, dass viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach wie vor stark an der Vorstellung festhalten, dass sie «gar nicht anders können» als zu schreiben. Ich glaube, dass das eine sehr wirkmächtige Illusion ist – nicht im Sinne einer Lebenslüge, sondern im Sinne einer Wirklichkeitskonstruktion.

Ich hatte mit viel pragmatischeren Personen gerechnet.

Dass ihre eigene Identität so stark über das Schreiben definiert ist, hat mich erstaunt. Ich hatte mit viel abgeklärteren, pragmatischeren Personen gerechnet.

Warum?

Man kann sich heute Autorinnen und Autoren längst nicht mehr so vorstellen wie den berühmten «armen Poeten», diese Figur auf dem Gemälde von Carl Spitzweg, die unter kümmerlichsten Verhältnissen in einer Dachkammer lebt.

Der Literaturbetrieb ist ein Spannungsfeld zwischen freier, künstlerischer Betätigung auf der einen Seite und marktorientiertem Kalkül auf der anderen Seite.

Gemälde: Ein Mann liegt in einer kleinen Kammer vor dem Ofen im Bett
Legende: Carl Spitzwegs «Armer Poet» von 1839 zeigt das Klischeebild des brotlosen Dichters. Wikimedia Commons / Yelkrokoyade

Wie sieht denn eine typische Lebensrealität für Literaturschaffende in diesem Betrieb aus?

Am Anfang steht die grosse Hoffnung, Schreiben im Hauptberuf auszuüben und davon leben zu können. In den ersten Jahren mag das aufgehen: Die Verlage sind an jungen Autoren interessiert. Man wird vielleicht unter Vertrag genommen, kann Lesungen abhalten, bekommt einiges an Aufmerksamkeit. Doch das bricht irgendwann weg.

Mit dem dritten oder vierten Buch schwindet die Aufmerksamkeit des Verlags, man gilt nicht mehr als «jung und frisch», die Lesungsanfragen nehmen ab. Und dann ist man plötzlich Mitte 50 und fragt sich: Was nun?

Und – was dann?

An diesem Punkt nehmen Autorinnen oft eine einigermassen abgesicherte, auch literaturferne Beschäftigung auf. Das führt aber dazu, dass das Schreiben immer mehr zur Nebensache wird.

Das heisst, die zunehmende Professionalisierung, die sich vielleicht am Anfang der Karriere abgezeichnet hat, wird irgendwann zu einer Sackgasse. Das ist eine Schwierigkeit, die vor allem junge Literaturschaffende wenig kommen sehen.

Mit der grossen Freiheit, die wir mit dem Klischee des Autorenberufs verbinden, ist es also nicht weit her.

Ein Autor sagte mir im Gespräch: «Freiheit bedeutet für mich, nicht zu sehen, wie abhängig ich eigentlich bin.» Das beschreibt die Schriftstellerexistenz ganz gut – die hängt an sehr vielen Fäden.

Unter dem Strich bleiben die meisten dieser Existenzen prekär. Man weiss nie, wie es in einem Jahr aussehen wird. Das wiederum liegt an der Logik dieses Markts, der vor allem auf das Neue setzt.

Trotzdem muss es einem erst einmal gelingen, in der Literaturwelt überhaupt Fuss zu fassen. Wie schafft man das?

Es gibt ganz bestimmte Ideen, wie man als junge Autorin oder als junger Autor zu sein, aufzutreten oder zu schreiben hat. Davon hängt nicht zuletzt auch ab, ob man zum Beispiel einen Studienplatz an einem Literaturinstitut erhält. Der Literaturbetrieb ist nicht wirklich inklusiv.

Der Literaturbetrieb ist so sozial divers eben nicht.

Da greifen oft unbewusst Schliessungsmechanismen, die es insbesondere Personen schwer machen, die aus sehr literaturfernen Verhältnissen stammen. Das heisst: So ästhetisch divers der Literaturbetrieb sich gibt, so sozial divers ist er eben nicht.

Woher kommen diese hohen Schwellen?

Die Gruppe, die sich als «Autorinnen und Autoren» bezeichnet, ist ziemlich abgeschlossen und rekrutiert aus sich selbst heraus Neulinge. Es gibt kaum objektive Massstäbe, die bestimmen, wann Schriftstellerinnen und Schriftsteller «gut» sind.

Der Betrieb macht das fast unter sich aus, aufgrund von ästhetischen Urteilen. Und die können durchaus von sozialen Faktoren wie eben der Herkunft beeinflusst werden.

Buchhinweis

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Carolin Amlinger: «Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit». Suhrkamp 2021, 800 Seiten.

Das Gespräch führte Simon Leuthold.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 28.01.2021, 09:03 Uhr. ; 

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