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Brexit-Satire «Ich bin eigentlich gar kein Pessimist»

Morgen erwacht Grossbritannien im Mittelalter: Der britische Erfolgsautor Robert Harris hat mit «Der zweite Schlaf» einen satirischen Thriller im Zeichen des Brexit geschrieben, der nun auf Deutsch erscheint.

Ein Gespräch über die Logik der Apokalypse, einstürzende Luftschlösser und eine Dystopie namens Gegenwart.

Robert Harris

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Robert Harris, geboren 1957 in Nottingham, ist Journalist, Sachbuchautor und Schriftsteller. Seine Romane greifen oft historische Stoffe auf und halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Viele seiner Thriller wurden verfilmt – etwa «Vaterland», «Enigma» und «Ghost».

SRF: Sie prophezeien fürs Jahr 2025 die Apokalypse. Woher dieser Pessimismus ?

Robert Harris: Ich bin eigentlich gar kein Pessimist. Ich schreibe politische Bücher. Hier habe ich auf satirische Weise Trends aus unserer Gegenwart auf die Spitze getrieben, bis zu ihrem logischen Schluss.

Worum geht's in «Der zweite Schlaf»?

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2025 ist die Welt untergegangen. 800 Jahre später herrschen mittelalterliche Zustände.

Die Kirche entscheidet über Gedeih und Verderb der Menschen. Wer sich für Altertumsforschung interessiert – also für jene Zeit vor dem Kollaps – wird als Ketzer bestraft.

Als der junge Priester Christopher Fairfax aufs Land gerufen wird, um den Gottesdienst an der Beerdigung seines Kollegen Pfarrer Lacy abzuhalten, findet er in dessen Gemächer eigenartige flache Dinger mit dem Emblem eines angebissenen Apfels. Könnte es sein, dass Lacy gar nicht auf natürliche Weise gestorben ist?

Robert Harris Roman ist ein satirischer Mittelalter-Krimi gelungen, der viele Parallelen zur Gegenwart aufweist.

  • Robert Harris: «Der zweite Schlaf», Heyne-Verlag 2019.

Unsere heutige Gesellschaft erscheint mir wie eine überreife Frucht, die im Begriff ist auseinanderzufallen. Alle Kulturen gelangen an diesen Punkt und brechen zusammen – seien es die Römer, die Ägypter oder die Maya.

Ich will mich nicht darauf festlegen, dass uns das in den nächsten sechs Jahren zustossen wird. Sicherlich wirken aber in der Gegenwart Kräfte auf uns ein, die uns aus dem Gleichgewicht bringen könnten.

In Ihrem Roman geht Grossbritannien unter und erwacht in mittelalterlichen Zuständen wieder. Unübersehbar: der Seitenhieb auf den Brexit. Droht ein Rückfall in die Vergangenheit ?

Der erste Input für diesen Stoff gab mir die Finanzkrise 2008, als einige der grossen britischen Banken zusammenzubrechen drohten. Die Regierung hat damals Pläne für eine Notversorgung mit Lebensmitteln gemacht. Damals ist uns zum ersten Mal klargeworden, dass London auf moderne Lieferwege angewiesen ist.

Kein Zufall, dass ich dieses Jahr dieses Buch geschrieben habe.

Jetzt, mit dem Brexit, taucht dieses Szenario wieder auf. Kein Zufall also, dass ich mich dieses Jahr entschieden habe, dieses Buch zu schreiben.

Trotzdem träumen viele Brexit-Befürworter von einem wiedererstarkten britischen Empire ...

Viele sehnen sich noch immer nach dieser Zeit damals. Aber das britische Empire hat in den 1920er-Jahren seinen Höhepunkt erreicht.

Mein Land hat innerhalb der Lebensspanne eines einzelnen Menschen einen Rückgang erlebt: von dieser Zeit der gewaltigen Ausdehnung über ein Viertel der gesamten Erdoberfläche auf das Niveau von heute. Eine Mittelmacht – in Europa auf Platz 3, unter den Wirtschaftsmächten der Welt auf Platz 6.

Das hat psychologisch zweifellos starke Auswirkungen. Es fühlt sich an, wie wenn man sein Leben in einem grossen Schloss begonnen hätte und sich im Alter in einer Mietwohnung wiederfinden würde. Aber es gibt für diese Nostalgie auch noch andere Gründe.

An welche denken Sie ?

Als Frankreich 1940 kapitulierte, schrieb der britische König Georg VI. in sein Tagebuch: «Gott sei Dank haben wir jetzt keine Verbündeten mehr!»

Die Einstellung dahinter war: nur Grossbritannien und das Empire stehen zusammen. Im Nachhinein erscheint das verrückt, weil Grossbritannien den Krieg ja nicht allein gewonnen hat. Es waren ja vor allem Russland und Amerika.

An dieser Idee stimmte also nichts. Nur ändert das nichts daran, dass es bis heute diesen Mythos gibt. Er passt aber so gar nicht mehr in die heutige Zeit mit ihrer globalen Wirtschaft und der digitalen Technik, auf die ich im Buch verweise.

Das Buch spielt daher mit der Idee einer «idyllischen» Welt nach dem Brexit, wo über der Dorfkirche nur noch die alte englische Flagge mit dem Georgskreuz flattert, in der es keine Ausländer gibt und sich die Menschen zu Pferde fortbewegen.

Sie sind ein erklärter Brexit-Gegner: Inwiefern hat Ihr Land in Ihren Augen bereits Schaden genommen, noch bevor wir wissen, ob es überhaupt zum EU-Austritt kommt ?

Die Brexit-Debatte hat gezeigt: Die Trennlinie verläuft in Grossbritannien nicht mehr zwischen rechts und links, sondern zwischen Nationalismus und Internationalismus. Was immer auch geschieht, diese Trennlinie bleibt.

Die Trennlinie verläuft in Grossbritannien nicht mehr zwischen rechts und links.

Mit dem Brexit haben wir es auf fabelhafte Weise geschafft, das europäische Festland geschlossen gegen uns aufzubringen. Wir werden also gezwungen sein, solange ich lebe, uns mit diesem Thema immer und immer weiter zu beschäftigen.

Und ich werde mich bemühen, Romane zu schreiben, die möglichst nichts mehr mit dem Brexit zu tun haben – um nicht vollkommen den Verstand zu verlieren.

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