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Debütroman von Julia Jost Wo der Arier-Nachweis noch beschaulich in der Jägerstube hängt

Im Roman der Österreicherin Julia Jost staunt ein Mädchen über den normalen Kärntner Alltag: braun gefärbte Stammtischreden, Egoismus und Geschichtsvergessenheit allenthalben. Eine literarisch beeindruckende Studie, wie populistische Mechanismen schon im Kleinen zu wirken beginnen.

«Einmal an der Spitze, werden wir die Spitze so weit ausdünnen, dass für Späne kein Platz mehr sein wird, die Späne werden fallen und unten eingesaugt und entsorgt und nicht mehr in unserer Erinnerung wohnen. Denn wir werden auch unsere Erinnerungen aushobeln.»

Mit diesen Worten schliesst der populistische Aufsteiger Gernot Pfandl in Julia Josts Roman seine Rede am Bundesparteitag, zu dem er als «erfolgreichster Gemeindebürgermeister aller Zeiten» eingeladen worden war.

Julia Jost

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Eine Frau mit kurzen, blonden Haaren. Sie trägt eine helle Brille und lächelt. Sie schaut in die Kamera.
Legende: Rafaela Pröll

Julia Jost ist eine österreichische Theaterregisseurin und Autorin. Sie wurde 1982 in Kärnten geboren.

Auf Einladung von Klaus Kastberger nahm sie 2019 an den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil, wo sie ihren Text «Unweit vom Schakaltal» las. Im Rahmen des Wettbewerbs wurde sie mit dem mit 10'000 Euro dotierten Kelag-Preis ausgezeichnet.

Anfang 2024 erschien nun ihr Debüt-Roman «Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht» im Suhrkamp-Verlag.

Julia Jost lebt in Wien und Berlin.

Jörg Haider als Modell

Pfandls Formulierungen lassen einen leer schlucken, insbesondere die Passage zum Aushobeln der Erinnerungen. So etwas erscheint in Österreich, das seine nationalsozialistische Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg nur unzureichend aufgearbeitet hat, geradezu ungeheuerlich.

Ein Mann hält ein Taschentuch in der Hand. Hinter ihm eine Flagge.
Legende: Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider hielt 2001 in Wien eine Rede zur «Selbstbestimmung im dritten Jahrtausend». Keystone / AP Photo / Martin Gnedt

Brisantes Detail dabei: Pfandls Vater war selbst überzeugter Nazi gewesen und hat hunderte Menschen auf dem Gewissen. Diese Vergangenheit verfolgt den Polit-Aufsteiger schon seit Langem. Und doch bläst er unversehens ins gleiche Horn, kaum erhält er eine Bühne dafür.

Pfandls Partei bleibt im Roman namenlos, aber um Pfandl nicht als Jörg Haider und seine Partei nicht als die rechtspopulistische FPÖ zu erkennen, müsste man sich arg verbiegen.

Der Populismus wächst

Julia Josts Buch mit dem sperrigen Titel «Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht» spielt im österreichischen Bundesland Kärnten zwischen Anfang der 1980er- und Mitte der 1990er-Jahre. Genau zu der Zeit und in der Region, wo Haider und die FPÖ gross wurden.

Blick von oben auf ein Gebirgsdorf bei schönem Wetter.
Legende: Das Karawanken-Gebirge verläuft zwischen dem österreichischen Bundesland Kärnten, wo der Roman spielt, und dem Nachbarland Slowenien. Imago / Westend61

An Gernot Pfandls Aufstieg und am Umfeld, in dem er passiert, kann man in Julia Josts Roman beispielhaft ablesen, wie sich der Populismus im ganz Kleinen festsetzt und von da aus ins Monströse zu wachsen droht.

Zum Beispiel in der Familie der 11-jährigen Ich-Erzählerin: Die Mutter arbeitet Teilzeit als Lehrerin und wirtet abends in der Gaststube, die zum Hof gehört. Der Vater hat als Automechaniker angefangen und ist dann in den Handel mit Lastwagen eingestiegen. Er konnte sich einen Millionendeal im Ausland sichern – vermittelt durch Gernot Pfandl, der sich seine Beziehungen unter der Hand bezahlen liess.  

Für die Eltern erfüllt sich der Traum des bürgerlichen Lebens. Endlich kommt man zu Geld, kann den provinziellen Hof hinter sich lassen. Dass sie alle dem Populismus zum Opfer fallen, merken sie in ihrer Verblendung von Einfluss und schnellem Reichtum nicht.

Durch die Augen einer 11-Jährigen

Es ist eine besondere Mischung aus Geschichtsvergessenheit und Gier nach Geld und Macht, die die Menschen in Julia Josts Roman umtreibt. Ein Roman, der einen beklemmenden Eindruck hinterlässt, nicht zuletzt aufgrund der Art, wie er erzählt ist. Denn die Erzählerin ist mit ihren 11 Jahren noch zu jung, um zu verstehen, was um sie herum geschieht. Das Kind wertet nicht, sondern nimmt alles relativ unvoreingenommen auf.

Das Monströse an seinen Erzählungen – ein gerahmter Ariernachweis, der (in den 1990er-Jahren!) öffentlich in der Jägerstube hängt, oder der Vater, der über die NS-Abzeichen des Grossvaters einen seltsamen Stolz empfindet – nimmt deswegen erst im Kopf der Leserinnen und Leser Gestalt an. Ein Buch, das eine neue Perspektive auch auf den Populismus bietet, der aktuell in der Welt um sich greift.

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