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«Der Richter und sein Henker» Dürrenmatts Klassiker hat auch nach 75 Jahren immer noch Biss

Vor 75 Jahren erschien «Der Richter und sein Henker»: Ein Kriminalroman für alle, die keine Krimis mögen – und der Dürrenmatts Weltruhm besiegelte.

Ein groteskeres Fressgelage hat die Literatur kaum hervorgebracht: Ein todkranker Kommissär stopft sich in Gegenwart eines Polizistenmörders mit Sardinen, Krebsen und Aufschnitt voll. Er verschlingt Pasteten, Salate, Koteletts und Pommes frites, dazu leert er Glas um Glas Wein und Champagner. 

Sein Gegenüber verfolgt das Schauspiel mit Entsetzen und begreift allmählich, dass der alte Kommissär sein Geheimnis längst durchschaut hat. Es ist das grandiose Finale eines Kriminalromans, in dem nicht nach einem Mörder gesucht wird, sondern nach einem Henker. 

Zwei Männer bei Tisch stossen mit Getränken an, Filmtitel 'Der Richter und sein Henker' sichtbar.
Legende: Ein Festmahl wie es im Buche steht – hier eine Szene aus der vielbeachteten Romanverfilmung von Maximilian Schell (1975). IMAGO / United Archives

Auch wegen dieser Fressorgie ist «Der Richter und sein Henker» zum Klassiker geworden. Entstanden ist die Geschichte aus Geldnot. Mit Ende 20 war Friedrich Dürrenmatt knapp bei Kasse.  

«Der Richter und sein Henker: Worum es geht

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Der Roman spielt im November 1948 über einen Zeitraum von sechs Tagen.

Ein Dorfpolizist findet im Jura einen Polizeileutnant tot in seinem Auto. Der alte, etwas kauzige Kommissär Bärlach und sein junger Mitarbeiter Tschanz sollen den Fall gemeinsam lösen.

Die Ermittlungen führen sie zum einflussreichen und wohlhabenden Gastmann. Ihm ist Bärlach bereits vierzig Jahre zuvor in Konstantinopel begegnet. Damals behauptete Bärlach im Suff, dass es kein vollkommenes Verbrechen geben kann, weil der Zufall jeden Täter zur Strecke bringen muss. Gastmann, auch betrunken, wettet dagegen.

Jahrzehntelang versucht Bärlach vergeblich Gastmanns zahlreiche Verbrechen zu beweisen. Nun will Bärlach seinen Gegenspieler wegen des Polizistenmordes überführen, obwohl er weiss, dass Gastmann in dieser Sache unschuldig ist. Bärlach benutzt den wahren Täter, um Gastmann zur Strecke zu bringen. Der Mörder wird damit zum Henker gemacht.

Der Auftrag der Zeitschrift «Der Schweizerische Bote» kam da gelegen: Für ein Honorar von 1000 Franken schrieb Dürrenmatt den Krimi, der zwischen Dezember 1950 und März 1951 in acht Folgen erschien. Es war der Auftakt zu seinem Welterfolg. 

Der Krimi als Vorwand 

Der Erfolg des Romans erklärt sich zunächst durch seine unterhaltsame Handlung: ein ermordeter Polizist, eine spektakuläre Wette und eine offene Rechnung zwischen Verbrecher und Kommissär, ein unerwartetes Ende. Alles, was ein guter Krimi braucht.

Zwei Männer unterhalten sich im Freien, einer raucht eine Zigarre.
Legende: Der Krimi war so gut, dass er sogar mehrfach verfilmt wurde. Friedrich Dürrenmatt zusammen mit Regisseur Franz Peter Wirth am Filmset einer Version aus dem Jahr 1957 . Wolfgang Busch/ullstein bild via Getty Images

Und doch geht es in diesem Buch eigentlich um etwas anderes. Dürrenmatt nutzt die Krimihandlung als Köder, um die Leserinnen und Leser zu locken – und verhandelt dann jene Fragen, die ihn wirklich umtreiben: Darf Gerechtigkeit mit illegalen Mitteln hergestellt werden, wenn sie auf legalem Weg nicht zustande kommt? Wie kann ein Verbrechen vor den Augen der Öffentlichkeit geschehen, ohne Konsequenzen zu haben? Und wie reagiert eine Gesellschaft, wenn die Kategorien von Gut und Böse ins Wanken geraten? Bis heute diskutieren Schülerinnen und Schüler diese Fragen in Klassenzimmern – Dürrenmatts Kriminalroman fest in der Hand. 

Vom Kultbuch zum Kultfilm

Manche Lesefaulen begnügen sich vielleicht auch mit einer der zahlreichen Verfilmungen, um bei der Deutschprüfung nicht durchzufallen. Die bekannteste Adaption stammt von Maximilian Schell und wurde dieses Jahr 50 Jahre alt.  

Filmcrew und Kameras in einem Speisesaal bei Dreharbeiten.
Legende: Das Bundeshaus in Bern wird 1974 zum Filmset für Maximilian Schells (Bildmitte) Verfilmung. KEYSTONE/Str

Dürrenmatt selbst hat darin einen Auftritt in einer Nebenrolle. Er spielt einen exzentrischen Schriftsteller mit berndeutschem Akzent. Gedreht wurde auf Englisch: Die unfreiwillig komische Synchronfassung geniesst Kultstatus. Mit seinem 70er-Jahre-Look wirkt der Film heute aber etwas aus der Zeit gefallen.  

Ganz anders der Roman. Ein Grund dafür sind Sätze wie diese: «Da stellen wir Menschen aus Angst voreinander Staaten auf, […] umgeben uns mit Wächtern jeder Art, mit Polizisten, mit Soldaten, mit einer öffentlichen Meinung; aber was nützt es uns? […] Ein Hohlkopf an der Spitze einer Grossmacht, und schon werden wir weggeschwemmt.» Als hätte Friedrich Dürrenmatt das Jahr 2025 vorausgesehen. 

Kunst, wo sie niemand erwartet 

Literatur, so Dürrenmatt, solle dort entstehen, wo man sie am wenigsten erwarte. Dass ihm dies im vermeintlich trivialen Genre des Kriminalromans meisterhaft gelungen ist, beweist «Der Richter und sein Henker».

Es ist ein Krimi für alle, die keine Krimis mögen. Und auch wer schlicht gut unterhalten werden will, kommt auf seine Kosten – allein schon wegen eines der denkwürdigsten Fressgelage der Weltliteratur.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 22.12.2025, 7:06 Uhr

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