Zum Inhalt springen
Schwarz-Weiss-Aufnahme: Tatort-Szene in einem Shopping-Center. Im Hintergrund stehen Schaulustige.
Legende: Polizeibeamte und Medienleute im Zürcher «Shopville», wo Bankräuber 1979 eine Passantin erschossen hatten. Keystone

Ein «Alt-68-er» zieht Bilanz «Niemand redet über die Schweizer RAF-Sympathisanten»

Der Zürcher Willi Wottreng arbeitet in seinem neuen Roman das Leben der 68er auf. Emotional vermisst er die wilde Zeit. Politisch nicht.

SRF: In Ihrem Roman «Denn Sie haben daran geglaubt» ziehen Sie Bilanz mit Ihrer Generation – den sogenannten Alt-68ern. Wie fällt die Bilanz aus?

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen
Der Zürcher Autor Willy Wottreng
Legende: Keystone

Willi Wottreng war früher Maoist, bis es zu fanatisch wurde. Er schrieb für die «Weltwoche», bis Roger Köppel kam. Danach verfasste er legendäre Nachrufe für die «NZZ am Sonntag», bis er pensioniert wurde. Wottreng hat ein Buch über Hells Angels Gründer Tino geschrieben. Und eines über die Prostituierte, Mode-Ikone und Künstlermuse Lady Shiva.

Willi Wottreng: Das Buch ist kein Sachbuch über 1968. Aber es ist eine persönliche Bilanz. Es geht darum, wie ich als 68er älter werde, wie ich die Vergangenheit empfinde. Ein wenig wie Liz, die Hauptfigur im Buch.

Für sie ist die 68er-Bewegung politisch eine Sackgasse gewesen. Aber emotional würde sie die Zeit gern noch einmal erleben. Das macht sie dann auch.

Was vermissen Sie vom Geist der 68er?

Gar nichts. Ich bin glücklich alt geworden. Und erfreue mich daran, gewisse Themen, wie die Tabuisierung von Gewalt heute noch literarisch zu verarbeiten. Das macht mir Spass. Das ist fast genau so gut wie zu demonstrieren.

Vermissen Sie heute nicht die Lust, die Welt zu ändern?

Ich muss den heutigen Generationen ja keine Vorschriften machen. Ich selbst weiss: Wir hatten damals eine sehr spannende Zeit. Man experimentierte, wagte etwas und machte auch Fehler. Mein Buch ist ein Bekenntnis zu diesem Geist. Zu dem stehe ich.

Wollten Sie persönlich auch verhindern, dass «die Welt noch fauliger wird», wie Sie in Ihrem Buch schreiben?

Ja. Manchmal darf man hinter so einem Zitat tatsächlich den Autor vermuten. Wir sind aufgestanden gegen bequeme, verrottete Verhältnisse. Und wenn man sich heute umschaut? Nun, wir haben es nicht geschafft.

Das Buch nimmt den Überfall de r Roten Armee Fraktion RAF auf die Schweizerische Volksbank 1979 als Ausgangspunkt für die Geschichte von Liz und Ernst.

Das ist ein interessanter Fall. Es war die Aktion der RAF in Zürich, die grosses Aufsehen erregt hat. Eine Passantin wurde damals beim Schusswechsel im Shopville auch getötet.

Es ist immer noch unklar, ob es Schweizer Helfer gab. Das wird auch in der Szene tabuisiert. Hier darf der Autor erfinderisch werden.

Liz sagt an einer Stelle: «Es gibt eine Gewalt, die Fortschritt bringt». Eine schwierige Aussage.

Was 1968 betrifft, ist historisch viel aufgearbeitet. Auch die RAF-Szene ist gut durchleuchtet. Was aber meines Erachtens immer noch Tabu ist, betrifft die Leute, die am Rand dieser Terrorszene standen. Diejenigen, die mit der RAF irgendwie sympathisiert haben. Diese klammheimliche Freude an dem, was die Terroristen gemacht haben. Bis heute redet niemand darüber, wenn einer noch ein wenig geholfen hat oder Hilfsmittel zur Verfügung gestellt hat.

Warum? Strafrechtlich hätte das vermutlich keine Relevanz mehr.

Man schämt sich. Das ist natürlich richtig. Aber man redet nicht darüber.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Willi Wottreng: Denn sie haben daran geglaubt. Bilger, 2017.

Haben Sie sich auch klammheimlich gefreut?

Ich habe mich teilweise auch gefreut, ja. Ich gehöre auch zu denen und schäme mich heute noch dafür, mich gefreut zu haben.

Ihr Buch ist nicht zuletzt auch eine Liebeserklärung an den «Chreis Cheib» in Zürich. Auch er ist etwas in die Jahre gekommen.

Er ist immer in Veränderung. Vor 40 Jahren hat sich dort im Restaurant Sonne im ersten Stock noch die Arbeiterschaft zu Versammlungen getroffen. Jetzt ist es ein Puff.

Der «Chreis Cheib» ist einfach ein orientalischer Suppentopf: Es hat alte Linke, Gewerbetreibende, Hells Angels, viel italienische und jüdische Geschichte. Und neuerdings hat es viele Jüngere, Reichere, Gebildetere. Aber lustig ist es immer. Und: Es ist schon alles verbaut. Hochhäuser lassen sich hier keine mehr hochziehen.

Das Gespräch führte Julia Bendlin.

Meistgelesene Artikel