Die Schriftstellerin Esther Kinsky hat den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse bekommen. Mit einer Art Reisebericht, der eine existenzielle Erfahrung auslotet. Er nennt sich «Hain. Geländeroman».
SRF: Was ist «Hain» für ein Buch?
Franziska Hirsbrunner : Es ist eine Art Reisebericht, und zwar gleich dreier Reisen durch Italien. Zu sehen bekommen wir ein wenig bekanntes Italien, ein Italien abseits der Klischees. Die Stationen sind Olevano, östlich von Rom, Chiavenna in der Lombardei und Comacchio im Po-Delta.
Esther Kinsky ist Lyrikerin und eine kongeniale Übersetzerin aus dem Englischen, Polnischen und Russischen. Sie hat lange in London gelebt. Davon handelte ihr letztes Buch «Am Fluss».
Kinsky hat aber auch lange in Ungarn gelebt – auch darüber hat sie geschrieben ( «Banatsko») . Sie lebt in der Sprache, in der Literatur, in der Beobachtung der sie umgebenden Welt, im Gehen, im Wandern, im Erkunden.
Und sie hat eine ganz einzigartige Gabe, dies alles in Sprache zu fassen. So wie es in der Kunst die «Walking Artists» gibt, etwa Hamish Fulton , ist sie ein «Walking Writer». Damit steht sie natürlich in einer langen Tradition, man denke etwa an Robert Walsers «Spaziergänger».
Wie bemerkenswert ist diese Wahl der Jury?
Die Jury hatte die Qual der Wahl. Anja Kampmann, Isabel Fargo Cole, Georg Klein, Matthias Senkel und die nun preisgekrönte Esther Kinsky haben alle etwas zu erzählen. Alle fünf wagen sie auch formal etwas. «Hain. Geländeroman» von Esther Kinsky lotet aber vielleicht am intensivsten auch eine existentielle Erfahrung aus.
Um welche Erfahrung geht es da?
Um den Tod. 2014 starb nach langer Krankheit Esther Kinskys Mann. Auch er war Übersetzer. Die beiden teilten ein Arbeitsleben, erkundeten gemeinsam fremde Landstriche, schrieben auch gemeinsam, etwa eine Reiseerzählung über die Krim.
Nun heisst Esther Kinskys neues Buch ja «Hain. Geländeroman». Hain, das Wäldchen, das Gehölz: Im Deutschen gibt es die Redensart vom «Freund Hein», ein Euphemismus für den Tod. Mit dem Tod schlägt sich Esther Kinsky herum in diesem Buch, mit der Trauer, dem Verlust – in einer sehr persönlichen Weise, aber nie als Nabelschau. Es ist, als würde man neben der Autorin gehend eigenes Gelände erkunden.
Wie begründet denn die Jury des Leipziger Buchpreises ihren Entscheid?
Mit einem hübschen Paradox, finde ich. Sie spricht von, «stillen, fast übersinnlich präzisen Beobachtungen». Das könnte ja sehr langweilig sein. Aber die Jury sagt auch, es seien Beobachtungen, «die ihre Tiefe ganz aus der Versenkung in die Oberfläche gewinnen».
Daraus erwächst auch ein Trost: Das ganz Gewöhnliche wird so nicht nur interessant, es bildet auch einen Boden, von dem man sich getragen fühlt.
Das Gespräch führte Beatrice Kern.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 15.3.2018, 17:40 Uhr