«Nachteule» – so heisst Ingrid Nolls neuster Krimi, der vor wenigen Wochen erschienen ist. «Ich dachte, es sei praktisch, das neue Buch und den Geburtstag zusammenzulegen», sagt die Autorin im Gespräch mit SRF. «Dann kann ich allen, die zu Besuch kommen, das Buch schenken und muss es nicht mit der Post schicken. Aber gleichzeitig bin ich jetzt für die Medien besonders interessant geworden.»
Die Aufmerksamkeit wäre wohl auch ohne neuen Roman gross. Mit über 20 Bestsellern ist Noll Deutschlands erfolgreichste Krimiautorin. In ihrer Heimat nennt man sie liebevoll «unsere Krimikönigin».
Das Debüt aus dem Kinderzimmer
Bevor Ingrid Noll Anfang der 1990er-Jahre Zeit fürs Schreiben fand, hatte sie sich jahrzehntelang der Kindererziehung und dem Haushalt gewidmet und ihrem Mann in der Arztpraxis geholfen.
Erst mit Mitte fünfzig erfüllte sich Ingrid Noll den lang ersehnten Wunsch: Das leere Kinderzimmer wurde zur Schreibstube umfunktioniert und Noll begann ihr «Experiment», wie sie es nennt. «Man kann ja nicht wissen, ob man ein ganzes Buch schreiben kann, wenn man es noch nie getan hat.»
Meine Bücher sind Psychogramme.
Das Experiment gelang. Gleich ihr Debüt «Der Hahn ist tot» erschein beim renommierten Diogenes-Verlag und überzeugte Leser wie Kritikerinnen. Die unterhaltsame Geschichte über eine mordende Versicherungsangestellte legte den Grundstein ihrer späten Karriere.
Mordende Spiessbürgerinnen
Ihr erstes Buch ist Ingrid Noll bis heute besonders wichtig. «Wäre das kein Erfolg gewesen, sondern völlig verrissen worden, hätte ich wahrscheinlich aufgegeben.»
So aber schrieb Noll weiter – über Frauen, die aus ihrem bürgerlichen Leben ausbrechen und ihre vorwiegend männlichen Opfer vergiften, erschiessen oder von Aussichtstürmen stossen. Die Bücher sind «cosy crime»: Leichtfüssige Krimis mit schwarzem Humor.
«Eigentlich ist es immer ein Psychogramm», erzählt die Autorin. «Mich interessiert, warum man sowas macht und ob man selbst ein Verbrechen begehen könnte.» Eine Expertin für Polizeiermittlungen sei sie aber nicht, dennoch ernannten sie die Bonner und Mannheimer Polizei zur Ehrenkommissarin.
Pubertätsgefühle
In ihrem jüngsten Roman «Nachteule» erzählt Ingrid Noll die Geschichte der 15-jährigen Luisa. Sie nähert sich einem obdachlosen jungen Mann an und realisiert zu spät, dass der in kriminelle Machenschaften verstrickt ist.
Ich glaube, die Emotionen in der Pubertät bleiben über alle Jahrhunderte gleich: zu Tode betrübt sein und dann wieder glückselig. Dieses Auf und Ab kann ich noch sehr gut nachempfinden.
Als 90-Jährige aus der Perspektive einer Teenagerin zu schreiben, sei Ingrid Noll gar nicht so schwergefallen: «Im Vergleich zu meiner Jugend gibt es natürlich den grossen Unterschied in der Technologie. Aber ich glaube, die Emotionen in der Pubertät bleiben über alle Jahrhunderte gleich: zu Tode betrübt sein und dann wieder glückselig. Dieses Auf und Ab kann ich noch sehr gut nachempfinden.»
Gefühlsachterbahnen mag Ingrid Noll im hohen Alter nicht mehr. Sie freue sich über den Erfolg ihrer Bücher und am Geburtstag auf den Besuch von Freunden und Kolleginnen. Der Trubel sei aber auch stressig.
Ruhe findet Ingrid Noll nach ihrem Geburtstag wieder in ihrer Schreibstube: «Andere 90-Jährige spielen noch Golf oder Klavier und sind dabei glücklich. Bei mir ist das so, wenn ich am Schreibtisch sitze und vor mich hinspinne. Dann fühle mich entrückt von allen Sorgen und Gebrechen. Auf einmal sind zwei Stunden rum und ich war hochzufrieden mit der Welt und mit mir.»