«Alle haben eine Geschichte zu erzählen», ist der Journalist und Schriftsteller Richard Reich überzeugt. «Es kommt nur darauf an, die richtige Sprache zu finden, damit man genuin erzählen kann.» Seit zwei Jahren leitet er das Junge Literaturlabor (JULL), gemeinsam mit der Lektorin Gerda Wurzenberger und der Schauspielerin Irene Eichenberger.
Breites Angebot
Das JULL ist ein Pionierprojekt. An zentraler Lage, direkt hinter dem Zürcher Paradeplatz, treffen sich fast täglich Anfänger und Profis, um Romane zu schreiben, Hörspiele zu produzieren oder Lesungen abzuhalten.
Neben einem breiten Angebot für Kinder und Jugendliche – offene Schreibnachmittage und thematische Workshops – gibt es auch Kurse, die sich gezielt an Erwachsene richten. Zum Beispiel Schreibkurse mit der Schriftstellerin Ruth Schweikert oder ein Wettbewerb für über 70-Jährige.
Nicht nur für Hochbegabte
Im Mittelpunkt stehen allerdings die jungen Autorinnen und Autoren. Für sie sind die Kurse gratis. Dadurch zieht das JULL nicht nur hochbegabte Kinder oder Jugendliche mit professionellen Ambitionen an, sondern wirklich alle, die Freude am Schreiben haben.
Genau darin sieht Reich den besonderen Wert des JULL. Es gehe nicht darum, grosse Werke zu schaffen, sondern neue Erfahrungen mit Literatur zu machen. «Das Ziel ist eigentlich, dass die Jugendlichen ein Gefühl für ihre eigenen Geschichten bekommen, für sich selber als Erzählerin, als Sprecher, als Autor und Autorin.»
Ein Klassen-Roman
Eine Spezialität des JULL ist der «Schulhausroman». Wurzenberger und Reich haben das Projekt vor über zehn Jahren entwickelt. Es war die Keimzelle, aus der später das JULL entstanden ist. Mittlerweile bieten sie es für die ganze Schweiz an, in allen vier Landessprachen.
Dabei schreibt eine ganze Klasse gemeinsam einen Roman. «Entscheide Dich!», «Das dunkle Spiel» oder «Lesen Sie dieses Buch nicht» sind nur drei der zahlreichen Titel, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Professionelle Unterstützung bekommen die Schülerinnen und Schüler dabei nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Illustrieren, beim Vortragen oder bei der Umsetzung zum Hörspiel.
Falsche Erwartungen
Ermöglicht wird das JULL von der Kulturabteilung der Stadt Zürich. Aufgrund der öffentlichen Finanzierung wird die Leitung gelegentlich mit Erwartungen aus der Politik konfrontiert, die das JULL nicht erfüllen kann: messbare Gewaltprävention oder berufliche Integration von «Problemkindern» etwa.
Dies seien mögliche Nebeneffekte, das JULL lasse sich jedoch nicht darauf reduzieren, sagt Richard Reich: «Uns geht es darum, dass die Jugendlichen eine Entwicklung machen. Dass sich Talente zeigen, die vielleicht im normalen schulischen Kontext verborgen bleiben. Dass die Jugendlichen eine Gelegenheit haben, sich über das Schreiben oder das Vorlesen und Auftreten neu zu definieren.»
Oase im Bankenquartier
Darüber hinaus ist das JULL auch ein Treffpunkt der besonderen Art: Eine kleine Kulturoase mitten im Zürcher Bankenquartier, nicht nur für Literaten. Das angegliederte «Kaffeehaus zur Weltkugel» verführt die unterschiedlichsten Gäste zu kreativen Pausen, angeregten Diskussionen und natürlich zu Kaffee und Kuchen.