Als George Orwell 1943 einen Verlag für seinen Roman suchte, standen die Chancen schlecht. Noch tobte der Zweite Weltkrieg und die Sowjetunion und Grossbritannien waren Verbündete. Da machte es sich nicht gut, dass eines der tonangebenden Tiere in Orwells Roman Josef Stalin etwas gar ähnlich sah. Kaum war «Animal Farm» im August 1945 dann doch verlegt, wurde das Buch zum Langzeitbestseller.
In der Form einer Fabel erzählt George Orwell, wie die Tiere auf einer englischen Farm brutal ausgebeutet werden. Mit dem Mut der Verzweiflung und angeführt von einem alten Eber erheben sie sich. Der Aufstand gelingt, der Farmer wird verjagt. Flugs stellen die Tiere sieben Gebote für ihr zukünftiges Zusammenleben auf. Das erste lautet: «Alles, was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind», das letzte «Alle Tiere sind gleich.»
Von der Utopie in die Hölle der Diktatur
Eine kurze Weile leben die Tiere glücklich und einträchtig. Doch dann beanspruchen die Schweine die Milch der Kühe und die Äpfel für sich allein. Begründung: «Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als andere». Und das Führungsduo, die Schweine Napoleon (symbolisiert den sowjetischen Diktator Josef Stalin) und Schneeball (symbolisiert den russischen Revolutionär Leo Trotzki), gebärdet sich immer restriktiver.
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Bild 1 von 4. Der Stoff aus «Farm der Tiere» wurde gerne und zahlreich in anderen Kunstformen adaptiert, wie im Animationsfilm von 1954 ... Bildquelle: imago images/United Archives.
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Bild 2 von 4. … oder etwa auf Theater- und Opernbühnen – wie hier in Wien (28.02.2024). Bildquelle: KEYSTONE/APA/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN.
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Bild 3 von 4. Auch in der Kunst, wie im Werk «Animal Farm» von Tim Rollins und K.O.S. auf der Art Basel 2010 ... Bildquelle: KEYSTONE/Patrick Straub.
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Bild 4 von 4. … und im Comic ist «Animal Farm» zu finden: 1950 beauftragte das britische Aussenministerium gar die Erstellung einer Comicstrip-Version. Bildquelle: IMAGO/piemags.
Als Napoleon Schneeball ausschaltet, ist die als Utopie gedachte Farm der Tiere bereits eine ausgewachsene Diktatur. Die Tiere leben in einer Hölle aus Unterdrückung, Gewalt, Demagogie und Denunziation. Von Gleichheit kann keine Rede mehr sein. Ein paar wenige Privilegierte knechten die Massen.
Grundsätzliche Mechanismen
Die Entwicklungen in der Sowjetunion nach der Russischen Revolution standen Pate für Orwells «Farm der Tiere». Aber der mit furioser Komik erzählte Roman geht weit über eine Abrechnung mit dem Stalinismus hinaus. Er zielt auf grundsätzliche Mechanismen. Zudem blieb Orwell zeitlebens Sozialist.
Er war brillant und wohl einer der sozial engagiertesten Autoren, die England je hatte. Er schlug sich kompromisslos auf die Seite der Schwachen und analysierte Machtstrukturen, wo immer er sich befand – ob in Burma als Kolonialbeamter, in London und Paris unter Obdachlosen, im Spanischen Bürgerkrieg als Kämpfer gegen Francos Nationalisten.
Gespenstische Psychologie
In einem Gefecht in Spanien erlitt er einen Halsdurchschuss. Weit schlimmer war für ihn, dass die Linken anfingen, sich gegenseitig zu bekämpfen – bis hin zu standrechtlichen Erschiessungen. Selbst entging er diesen internen Abrechnungen nur durch Zufall.
«Farm der Tiere» erzählt zuallererst, wie eine anfänglich gute Sache kippt – durch Menschen mit ihrem Machtstreben, ihrem Egoismus und ihrer mangelnden Empathie. Es ist eine gespenstische Psychologie, die Orwell da entwirft. Im Fall der Stalin-Diktatur forderte sie Millionen von Toten.
«Farm der Tiere» denkt die Historie mit. Diktaturen fallen nicht vom Himmel, und sie haben immer wieder Konjunktur. George Orwell verstand sich durchaus als Warner. Und so machte er sich im ersten Vorwort zu seinem Roman denn auch für die Presse- und Redefreiheit stark: «Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.»