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Literatur von Women of Colour Schwarze Frauen über Rassismus und Sexismus

Rassismus- und Sexismuskritik ist in der Literatur derzeit hoch im Kurs. Doch nicht allen gelingt es gleich gut, davon zu erzählen. Was macht einen guten Identitätsroman aus, und was nicht?

Es war ein historischer Moment: Als Bernardine Evaristo 2019 den renommierten Booker Prize für ihren Roman « Girl, Woman, Other » entgegennahm, war sie die erste schwarze Frau in der rund 60-jährigen Geschichte des Literaturpreises, der diese Ehre zuteil wurde.

Die Wahl war ein Zeichen. Zu lange war die schwarze Frau auch in der Literatur eine Exotin, «the Other». Das sollte sich ändern. Die Auszeichnung war die symbolische Anerkennung einer Stimme, der wir als Gesellschaft bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten.

Zwei Frauen posieren vor weisser Wand mit ihren Bücherbn
Legende: Die Gewinnerinnen des Bookerpreis 2019: Margaret Atwood (The Testaments) und Bernardine Evaristo (Girl, Woman, Other). Keystone / EPA / ANDY RAIN

Gehör in der Literaturwelt

Auch im deutschsprachigen Raum ist die Literatur diesen Frühling deutlich weiblicher und dunkelhäutiger. Die in Berlin lebende Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo, Tochter ghanaischer Eltern, erzählt in ihrem Roman «Adas Raum» ebenso von weiblichen PoC, People of Colour, wie die indisch-stämmige Mithu Sanyal in ihrem Roman «Identitti».

Es sind politisch virulente Romane, die Erfahrungen von Sexismus und Rassismus nicht nur aus individueller Perspektive schildern, sondern als strukturelles Problem thematisieren.
Es war längst überfällig, dass schwarze Frauen und PoC endlich auch in der Literaturwelt Gehör finden.

Einige schaffen es, auf kluge und gleichzeitig ergreifende Weise über (erlebten) Rassismus und Sexismus zu schreiben. Doch es gibt auch andere, die auf den «Hype» aufspringen, indem sie strukturelle Diskriminierung analysieren und verurteilen. Dies jedoch ohne aufzuzeigen, was sie im Einzelfall bedeutet und welches Leid die Betroffenen davon tragen.

«Gender» und «Race» im Diskurs

Ein Beispiel dafür ist der Roman «Identitti» der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal. Er handelt davon, dass eine berühmte indische Post-Colonial-Professorin namens Saraswati ihre Herkunft erfunden hat.

Für die Ich-Erzählerin Nivedita sowie die halbindische/halbpolische Autorin kommt das einem persönlichen Verrat gleich. Denn Protagonistin sowie Schriftstellerin sind für ihr Umfeld stets entweder zu weiss oder zu schwarz.

«Identitti» ist ein ambitionierter Diskursroman, der auf 425 Seiten den brennenden Fragen des akademischen Postkolonialismus auf den Grund geht. Darf man sich kulturelle Zugehörigkeit aussuchen? Und damit verbunden: Darf man sich als weisse Person über People of Colour äussern?

Der Roman ist eine Schatzkiste aus Zitaten postkolonialer Denkerinnen und Denker, schwarzer AktivistInnen und SchriftstellerInnen wie Gayatri Chakravorty Spivak, Audre Lorde und Homi K. Bhaba.

Dazwischen kommt – in Form von Twittermeldungen – die versammelte Schaar Intellektueller der gegenwärtigen Debatte in Deutschland zu Wort. Das ist thematisch State of the Art , kunstvoll und intelligent montiert. Doch die Figuren in Sanyals Roman bleiben schemenhaft, ihre Probleme vage bis lapidar.

Soziale Veränderung durch Empathie

Anders der Roman «Adas Raum» von Sharon Dodua Otoo. Darin geht es um eine Frau, Ada, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten der Welt lebt. Ada ist nicht eine, sondern viele Frauen: Frauen, die Kinder gebären und verlieren, Frauen die von Männern vergewaltigt, getötet oder beraubt werden.

Durch die Jahrhunderte wandert mit diesen Frauen ein Perl-Armband bis es im Berlin der Gegenwart eine Provenienz Debatte auslöst. Also die Frage aufwirft, inwiefern Museen ehemaliger Kolonialmächte geraubte Kulturgüter ausstellen dürfen.

Erzählt werden uns diese Geschichten aus der Sicht von einer Reihe von Gegenständen: einem Reisigbesen, einem Türklopfer, einem KZ-Zimmer und einem Reisepass.

Damit erzeugt Dodua Otoo eine alternative Perspektive auf Geschichte. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, wie Macht und Geschichte miteinander verbunden sind. Wer schreibt überhaupt Geschichte? Und welche Geschichten bleiben ungeschrieben, ungehört?

Es sind ähnliche Fragen, die auch Mithu Sanyal in ihrem Roman auf theoretisch-abstrakter Ebene beschäftigen. Doch Sharon Dodua Otoo formuliert sie nicht aus, sie lässt sie uns spüren.

Während Mithu Sanyal erklärt, dass Rassismus und Kolonialismus auf vielfältige Weise zusammenhängen, zeigt uns Sharon Dodua Otoo, wie sie bis in die Gegenwart fortwirken und den Alltag schwarzer Frauen bis heute prägen – und generiert damit echte Empathie, und letztlich den Boden für soziale Veränderung.


Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 24.02.2021, 17:58 Uhr

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