Als der Sammelband «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» 1964 erschien, war ich noch nicht auf der Welt. Peter Bichsel hat die Erzählungen mit 29 Jahren geschrieben. Im gleichen Alter darf ich nun an einer Textvorlage für ein «Frau Blum»-Hörspiel mitarbeiten.
Das kleine Bändchen habe ich mit 16 Jahren gekauft. Es ist ein Buch, das ich sofort vor meinem inneren Auge habe. Ich spüre seinen Schutzumschlag: glatt, glänzend, wenn man mit dem Daumen darüberstreicht, aber auch ein wenig widerständig, es reibt.
Weiss und Blau, weisse Schrift auf blauem Grund. Blau wie das Meer, das in mehreren Geschichten als Sehnsuchtsort aufgerufen wird («Vom Meer», «San Salvador»). Weiss wie die Milch, die der Milchmann bringt, weiss wie der Schnee, der «tröstlich» klingt, aber auch «Eisenbahnen zum Entgleisen» bringt und «entlegene Dörfer einsam» macht («Erklärung»).
Geschichten von denen, die warten
Dann, im Titel, eine Frau und ein Mann: Die Frau wird mit Namen genannt, so wie man von einer Nachbarin spricht, mit der man verkehrt, ohne sie näher zu kennen. Vom Mann kennt man noch nicht einmal den Namen, aber man weiss, was er macht. Es sind zwei ganz einfache Dinge, die die beiden bestimmen: eine Blume und die Milch – Dinge, die schon ein Kind benennen kann.
So einfach und einleuchtend der Umschlag ist, so viel Spannung birgt er in sich, er flirrt und knistert. So wie Bichsels Geschichten. Es sind Geschichten von denen, die warten. Die es nicht wagen, Dinge zu sagen oder jemanden anzusprechen. Wie «Die Männer», die sich nicht trauen, auf eine junge Frau zuzugehen, die im Bahnhofscafé sitzt: «Sie wartet hier, bald auf eine Freundin, auf eine Kollegin, auf den Zug, auf den Abend. Sie ist ein Mädchen. Wenn man sie fragt, ist sie schon eine Frau.»
Zorn, Weisheit und Leichtigkeit
Aus dem 29-jährigen Autor, der mit «Frau Blum» ein Debüt – und was für ein Debüt! – hingelegt hat, ist ein grosser Autor geworden. Einer, der Jahreszeiten und Kindergeschichten und Kolumnen und viel mehr hat folgen lassen. Ein Autor, der am 24. März 80 Jahre alt wird. Schon!, mag man sagen – und sich wundern, weil seine Texte so jung wirken. Und dann wundert man sich auch nicht, weil sie auch immer schon einen Zorn, eine Weisheit, eine Leichtigkeit in sich tragen, die man sonst wohl erst im Alter erreicht.
Und so ist es nur konsequent, dass wir Peter Bichsel mit einer Hörspielproduktion von «Frau Blum» gratulieren. Peter Bichsel wird durch die Geschichten führen wie ein Hausmeister durch die Wohnungen eines Hauses. Denn «Frau Blum» ist ein Haus voller Geschichten.