- Der Schriftsteller Martin Walser wird am 24. März 90 Jahre alt .
- Nun erscheint ein Buch mit seinen Interventionen zur Politik der letzten 60 Jahre.
- Beim Besuch äussert der Autor sich auch zur Tagespolitik der Gegenwart , etwa zu seiner Verbundenheit mit Angela Merkel.
Zimmer mit Aussicht
Täglich steigt der nun 90-jährige Martin Walser mehrere Treppen hoch zum Arbeitszimmer im umgebauten Dachstock seines Hauses am Bodensee. Dort oben muss man unweigerlich an den ersten Satz von Walsers neuem Roman «Statt etwas oder der letzte Rank» denken:
«Mir geht es ein bisschen zu gut.»
Es muss einem einfach sehr gut gehen, wenn man täglich diese Aussicht auf den See und das gegenüberliegende Schweizer Ufer und auf das volle Programm des Alpenpanoramas geniessen kann.
Die Welt draussen, der Konflikt drinnen
Aber das alles beachtet Walser jetzt nicht. Er setzt sich an seinen Schreibtisch, rechts neben sich die geöffnete Bibel, vor sich ein handbeschriebenes Blatt mit Notizen, auf dem das Wort «Draussen-Welt» zu erhaschen ist. Schon in seinem jüngsten Roman will sich der namenlose Held von der ganzen «Draussen-Welt» und der «Draussen-Sprache» befreien.
Martin Walser sagt: «Wenn man sich von allen möglichen politischen und moralischen Abhängigkeiten befreien will, muss man auch gegen denjenigen in sich sein, der von allem Möglichen besetzt ist. Dann muss man als Autor bereit sein, gegen sich selber zu argumentieren.»
Das tut Walser in seinem aktuellen Roman. Er will nicht mehr «im Reizklima des Rechthabenmüssens» leben, sagt er im Gespräch, «es ist keine bewusstseinswürdige Haltung, recht zu haben.» Ihn ödet es an, «immer auf der richtigen Seite zu stehen».
Unfreiwillige Intervention
Eigentlich will Martin Walser auch kein «Meinungsfabrikant» mehr sein. Trotzdem erscheint nun ein dicker Band mit allen seinen Interventionen zur Politik. «Ewig aktuell» heisst das Buch. Es sind Streifzüge durch sechzig Jahre Zeitgeschichte.
Für Walser zeigen diese dokumentarhaften Texte vor allem, wie «unfreiwillig» sie entstanden. «Alles in dem Band ist nur Reaktion auf eine öffentliche oder politische Provokation», sagt er, «ich fühlte mich ununterbrochen provoziert und konnte das Maul nicht halten. ›Ewig aktuell‹ ist im Kern meine wirkliche Autobiographie von 1959 bis heute.»
Merkel schafft das
Nun aber habe er keinen Anlass mehr, sich politisch zu äussern. «Schuld daran ist die Bundeskanzlerin», so Walser. «Seit wir in diese Völkerwanderung geraten sind wegen des Krieges in Syrien und anderswo, bin ich einfach froh, dass es Angela Merkel gibt.»
Mit ihrem Satz «Wir schaffen das!» habe sie «das Wichtigste, Richtigste gesagt, was Politiker in dieser Situation sagen können, anders als diese bayrischen Kerle mit ihrer Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge. Seither fühle ich mich so gut vertreten, dass ich nicht mehr mitschreiben muss.»
Gegenwart statt Zahlenspiele
Längst ist Deutschland wieder in Wahlkampfstimmung. Was hält Martin Walser von Merkels sozialdemokratischem Herausforderer Martin Schulz? Lässt ihn der viel beschriebene «Schulz-Effekt» kalt?
Walser winkt mit der für ihn so typischen Handbewegung ab: «Die CDU und die SPD sind schon so lange eine Partei, dass ich da nicht die Hand umdrehen muss. Ich gebe aber zu, aus lauter Gefühlsdankbarkeit hänge ich sehr an der Frau Merkel.» Es seien aber nur Nuancen, die für ihn den Ausschlag gäben: «Ich höre der Merkel einfach lieber zu als dem Schulz.»
Auf seinen runden Geburtstag will Martin Walser gar nicht angesprochen werden. «Das sind Zahlenspiele, an denen ich mich nicht mehr beteilige.»