«Ich habe mich nie als Erzähler oder Romancier verstanden – sondern als Geschichtenerzähler», sagte Andrea Camilleri Anfang Jahr in Rom.
Sei es nun in seinen mehr als tausend Regiearbeiten fürs italienische Radio, sei es in seinen hundertfünfzig Theaterinszenierungen an allen grossen Häusern des Landes oder sei es als Krimiautor und Verfasser historischer Romane: Alles habe seinen Ursprung im Geschichtenerzählen.
90 Prozent Sicilianità
Dieser Ursprung liegt in seiner sizilianischen Heimat, in der mündlichen Erzähltradition des Siziliens der armen Leute. In deren Sinnlichkeit und in deren Humor.
«90 Prozent von mir sind Sicilianità», sagte Andrea Camilleri mit Stolz.
Geboren wird Andrea Camilleri 1925 in Porto Empedocle, einer kleine Hafenstadt auf Sizilien. Sie taucht später als Vigata in Camilleris Montalbano-Krimis wieder auf.
Die Figuren aus dem Hafen und den Kneipen, die Fischer und Wirte, die schweren Jungs und die Prostituierten, die Mafiosi und Betrüger, sie alle werden später zum Inventar seiner historischen Romane.
Zur Literatur findet der Junge früh. Die umfassende Bibliothek seines Vaters tut es ihm an. Schon mit 8 Jahren liest er Joseph Conrad. Mit 18 kennt er die Grossen der Weltliteratur.
Erst mit 60 ein Krimi-Star
Doch Camilleri entscheidet sich fürs Theater. Nach dem Notabitur wird er Regisseur. Ein ganzes Arbeitsleben lang lebt er als Theater- und Hörspielregisseur in Rom.
Bis er genug hat. Genug, immer nur die Ideen anderer umzusetzen. Mit 50 zieht er die Konsequenzen und beginnt zu schreiben.
Mit 60 folgt der Durchbruch. Die Montalbano-Krimis machen ihn über Nacht zum Star. Aber im Gegensatz zur Öffentlichkeit, die in diesen Krimis Camilleris Hauptwerk sieht, sind sie für ihn eher Mittel zum Zweck.
Der Papst und Camilleri
Kriminalromane seien eine gute Möglichkeit, sich mit Politik zu beschäftigen. «Man schmuggelt alltägliche Probleme aus unserer heutigen Welt in sie hinein – wie die Schmuggler, die heimlich Geld in die Schweiz bringen», erzählte Andrea Camilleri: «Offiziell sind es ja nur Krimis.»
Der Trick funktioniert. Montalbano wird zur nationalen Instanz. Camilleri dank Montalbano auch. Nur zwei Figuren gebe es seither in Italien, auf die alle hören, sagt man in Italien: den Papst und Andrea Camilleri.
Einer ist nun nicht mehr da. Seine Geschichten werden überleben. Aber das heutige Italien ist ohne seinen grossen Geschichtenerzähler ein grosses Stück ärmer.
Sendung: Radio SRF 4 News, Nachrichten, 9:30 Uhr