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Neuer Roman von Lea Singer «Die Heilige des Trinkers»: Der Literaturstar und die Unbekannte

Singers neues Buch lässt die «vergessene Liebe» des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth als Zeitgeschichte wieder aufleben.

Joseph Roth und Andrea Manga Bell waren von 1929 bis 1936 ein Paar. Er war ein Jude aus Galizien, sie eine Protestantin aus Hamburg mit einem afrokubanischen Vater. Die Beziehung zwischen dem gefeierten Romancier und der Grafikerin war geprägt von seinem Alkoholismus, ihrer Unerschütterlichkeit und der gemeinsamen Liebe zur Literatur.

Die beiden waren Magneten im deutschsprachigen Kultur- und Intellektuellenzirkel. Trotzdem teilten sie das Gefühl, randständig zu sein.

Geboren an einer Endstation

Joseph Roth (1894-1939) sagte von sich, er sei an einer Endstation zur Welt gekommen und meinte damit ein bitterarmes Schtetl in der heutigen Ukraine unmittelbar vor der russischen Grenze.

Schwarz-Weiss-Porträt von Joseph Roth
Legende: Joseph Roth war zu Lebzeiten einer der bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller, ein Jude aus Galizien Imago Images / Allstar

Er wollte seiner Herkunft immer entkommen. Aber er kam nie von ihr los. In keiner der damals angesagten Metropolen fand er eine neue Heimat. Aufgehoben fühlte er sich nur an den jeweiligen Wirtshaustischen. Betrunken konnte er dort arbeiten, als wäre er nüchtern.

Rassistisch ausgegrenzt

Andrea Manga Bell (1902-1985) erbte ihr Aussenseitertum von ihrem afrokubanischen Vater José Manuel Jiménez. Er war in Deutschland ein erfolgreicher Komponist und Pianist. Man nannte ihn «Elfenbein-Liszt». Der Rassismus, auch hinter solchen Komplimenten, liess ihn zunehmend depressiv werden.

Schwarz-weiss-Portrait von Andrea Manga Bell mit offenen Haaren
Legende: Andrea Manga Bell war eine Deutsche mit afrokubanischem Vater, einem bedeutenden Komponisten und Pianisten, der in Deutschland als «Elfenbein-Liszt» gehandelt wurde. Wegen seiner Hautfarbe wurde er aber nie so recht anerkannt Kampa Verlag

Lea Singer zeigt in ihrem Roman «Die Heilige des Trinkers», wie es der Tochter nicht besser ergeht. Auf der Strasse spricht man sie als Prostituierte an, nennt sie «Hottentotten-Venus». In Künstlerkreisen ist sie mit ihrer Schönheit oft nicht mehr als Projektionsfläche. Und probiert sie ein gewagt buntes Kleid an, sagt die Verkäuferin: «Ihr könnt einfach alle Farben tragen.»

Diese alltäglichen Ausgrenzungen von «ihr» aus «wir» klingen in Lea Singers Roman nicht anders als heute. Bloss, dass das Buch eine Zeit beschreibt, die auf eine Katastrophe zusteuert. Bald nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 gerieten jüdische Menschen, Menschen nicht-weisser Hautfarbe, aber auch auch LGBT-Menschen in akute Gefahr.

Mitten im Geschehen

 «Die Heilige des Trinkers» zeichnet nach, wie schwierig diese Gefahr zu fassen war. Die Leute sassen damals mittendrin und hatten ganz unterschiedliche Motivationen und Mittel zu handeln. Die einen waren sicher, dass ihnen nichts passieren konnte oder feierten erst recht ihre Partys. Die anderen versuchten, die Welt zu retten. Wieder andere steckten den Kopf in den Sand.

Porträt von Lea Singer in schwarzem Kleider auf einem Treppenaufgang
Legende: Lea Singer ist eine bekannte und äusserst kundige Autorin historischer Romane. Ihr neues Buch handelt von der Beziehung zwischen Joseph Roth und Andrea Manga Bell in den Jahren 1929-1936. Imago Images/ Teuto Press

Und dann gab es jene wie Joseph Roth, die ihre zunehmende Verzweiflung in Alkohol ertränkten. Roth war aber auch hellsichtig genug, gleich 1933 mit Andrea Manga Bell und deren Kindern von Berlin ins Exil nach Paris zu gehen. Sechs Jahre später starb er in einem Armenkrankenhaus. Manga Bell überlebte in Frankreich, teils im Versteck.

Wahre Begebenheiten

Lea Singer baut ihren Roman kunstvoll auf der Grundlage unzähliger literarischer und dokumentarischer Materialien auf. So reflektiert sie anhand der Zeugnisse, die Andrea Manga Bell bei ihrem Tod 1985 hinterliess, nicht nur Historisches und Politisches, sondern auch Geschlechterrollen.

Ihr Fazit: Andrea Manga Bell war weit mehr als Joseph Roths exotische Geliebte. Klug, klar, oft auch mit Witz teilte sie das Leben und Schreiben eines Mannes, der wie sie einzigartig eigenständig war.

Buchhinweis

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Lea Singer: «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe», 300 Seiten, Kampa Verlag, 2023.

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Radio SRF2 Kultur, Zwei mit Buch, 6.11.2023, 18:30 Uhr ; 

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