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Neues Buch von Natascha Wodin «Die späten Tage»: Für die Liebe ist es nie zu spät

In ihrem autobiografischen Werk «Die späten Tage» schildert die 80-jährige deutsche Autorin Natascha Wodin, wie Amors Pfeil auch im hohen Alter treffen kann.

Die Altersliebe heisst Friedrich, pensionierter Mathematiker, ein paar Jahre älter als sie. Er leidet an Herzschwäche, ist vergesslich, hört schlecht, kann nachts nicht schlafen. Von Unruhe getrieben, komme er «mehrmals in der Nacht» zu ihr ins Zimmer.

Er sei ein «immer noch schöner alter Mann, sehr schmal und zart». Doch das Alter nage an ihm. Wenn er ausnahmsweise mal schlafe, liege er «mit dem Tod im Bett». Mit dieser Schilderung ihres Geliebten beginnt Natascha Wodin ihr eindrucksvolles neues Buch «Die späten Tage».

Buchhinweis

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Natascha Wodin: «Die späten Tage». 286 Seiten. Rowohlt, 2026. (Hörbuch, gelesen von Martina Gedeck, im Argon Verlag)

Sie wurde 2017 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet für ihren ebenfalls autobiografischen Roman «Sie kam aus Mariupol» über ihre Mutter, die aus der Ukraine stammte und von den Nazis als Zwangsarbeiterin verschleppt wurde.

Biografische Figuren

Wodin liess nach dem Preis mehrere Romane folgen, in denen sie weitere Figuren erkundet, die ihr Leben geprägt haben – der Vater, die Nachbarin, die Putzhilfe. Und jetzt also Friedrich, für den sie in hohem Alter zärtliche Gefühle zu entwickeln begann. Dies, nachdem zwei toxische Ehen gescheitert waren, eine davon mit dem 2007 verstorbenen Autor Wolfgang Hilbig.

Die Beziehung mit Friedrich setzte damit ein, dass er Wodin «mit seiner grossen gotischen Schrift» einen Brief schrieb, nachdem er «Sie kam aus Mariupol» gelesen hatte. Dies war der Anfang der Liebe – mit allen Zutaten: Romantik, Erotik, Sex. Für beide wohl zum letzten Mal in ihrem Leben.

Ein Auf und Ab der Gefühle

Es gibt köstliche Episoden: Etwa diejenige in einem Berliner Park, als das Alten-Paar von zwei wildfremden jungen Männern angesprochen wird: «Entschuldigen Sie, Sie sind so ein schönes Pärchen, das müssen wir Ihnen sagen.»

Älteres Paar sitzt auf einer Parkbank in der Sonne.
Legende: «In guten wie in schlechten Zeiten» – der berühmte Satz spielt im Buch zwischen den Zeilen eine grosse Rolle. (Symbolbild) IMAGO / Dreamstime

Nach stürmischen Anfängen schleichen sich die ersten Krisen in die Zweisamkeit. Zu verschieden sind die beiden Charaktere: Friedrich ist rationaler, aber auch weltoffener als sie. Es beginnt ein Auf und Ab. Es geht so weit, dass Natascha Wodin mit dem Gedanken spielt, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Mit Friedrich geht es indessen körperlich abwärts. Dies weckt in der Autorin das Verlangen, für ihn da zu sein. Und dabei die auch wachsende Gebrechlichkeit des eigenen Körpers hintanzustellen.

«Ich kann Friedrich nicht allein lassen», schreibt Natascha Wodin. Solange er da sei, «muss ich auch bleiben».

Liebe heilt Leid

Doch es ist mehr als reines Pflichtgefühl, das die Autorin bei Friedrich bleiben lässt. Ein Treiber ist auch die Erfahrung des Leids, welche Natascha Wodin in ihrem Leben machte.

Sie kam 1945 unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Westdeutschland zur Welt. Ihre Eltern waren ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter, die nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten und als Entwurzelte in Westdeutschland blieben.

Die Mutter verkraftete das Leid der Nazizeit nicht und wählte den Freitod als Natascha Wodin elf Jahre alt war. Der Vater – ein gewalttätiger Trunkenbold – schob die Tochter in ein Kinderheim ab. Das Trauma der Eltern, eine Fremde zu sein und nirgends dazuzugehören, übertrug sich auf Natascha Wodin. Und prägte sie für den Rest ihres Lebens.

Friedrich gab ihr während ein paar Jahren das Gefühl, doch noch angekommen zu sein im Leben. Und so liest sich das eindringliche Buch von Natascha Wodin als Beschwörung dieses späten Geschenks – auch wenn sich die Altersliebe zum Schluss in erster Linie in der Angst äussert, am nächsten Morgen allein aufzuwachen.

SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 23.12.2025, 8:06 Uhr.

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