Es ist ein offenes Geheimnis, dass englische Gentlemen das Besteigen der Schweizer Alpen zu Beginn des 19. Jahrhunderts berühmt machten. Kaum etwas wissen wir indes über Frauen, die damals in die Natur ausschwärmten – und darüber schrieben. Mit einem neuen Sachbuch krempelt die Literaturwissenschaftlerin Anneke Lubkowitz das männlich dominierte Schreiben über Natur um. «Rebellinnen zu Fuss» erzählt die Biografien von elf literarischen Wanderinnen in Europa wie in den USA.
Als verirrte und verlorene Frau gilt Fontanes Effi Briest. Das Schicksal der berühmten literarischen Figur beschäftigt Lubkowitz. Ihre Recherchereise beginnt an einem unweit ihres Elternhauses gelegenen Gutshof in Brandenburg. Dort lebte Elisabteh von Plotho, die Romanvorlage Effis. Wie hätte die freiheitssuchende und naturvernarrte Frau wohl ihre Geschichte erzählt?
Sophie von la Roche, Bettina Brentano oder Mary Shelly schrieben allen gesellschaftlichen Zwängen zum Trotz. Sie standen Henry David Thoreau oder Goethe in nichts nach, sich Landschaften literarisch zu erschliessen.
Weibliche Naturperspektive
Ein männlicher Blick prägt unsere Naturwahrnehmung bis heute. Kaspar David Friedrichs Gemälde «Der Wanderer über dem Nebelmeer» ist eines der meistzitierten des 19. Jahrhunderts.
Stoisch überblickt ein Wanderer die raue Landschaft. «Mir fielen da Begriffe wie erobern oder bezwingen ein», sagt Lubkowitz, «Das hat etwas Martialisches, das ich befremdlich finde.»
Dem «Rausch aus Allmachtsfantasien» stellen die Schriftstellerinnen Kindheitserinnerungen (Sophie von la Roche), ökologisches Wissen und Verletzlichkeit (Annette von Droste-Hülshoff) und Gemeinschaftserlebnisse (Mathilde Franziska Anneke) gegenüber.
In der Recherche habe ich gemerkt, dass ich die Geschichte des weiblichen Wanderns nicht ohne die Frauenbewegung erzählen kann.
Lubkowitz hat in Archiven bewusst nach unbekannten Namen gestöbert. Entstanden ist ein Potpourri unterschiedlicher Sichtweisen und Lebensrealitäten, mit einem Ziel: «Viele Frauen haben die Möglichkeit gesucht, in der Natur und Bewegung einen Ort zu finden, wo sie sie selbst sein können», sagt Lubkowitz.
Wandern ist politisch
Kraft in der Natur fanden auch zwei bekannte politische Figuren. Während die französische Intellektuelle Simone de Beauvoir auf «fanatischen Wanderungen» ihre mentalen wie körperlichen Grenzen auslotete, floh die Schweizer Reisejournalistin Annemarie Schwarzenbach vor allem Einengenden in ferne Länder. «In der Recherche habe ich gemerkt, dass ich die Geschichte des weiblichen Wanderns nicht ohne die Frauenbewegung erzählen kann», sagt Lubkowitz.
Lebendig und präzise ist die Sprache der wanderbegeisterten Autorin, die uns in Archive, auf Spaziergänge via Street Map durch Los Angeles und Wanderungen im englischen Lake District mitnimmt. Es ist diese Sorte Buch, die man alle paar Seiten weglegt, um auf Google Bilder imposante Landschaften und das Antlitz selbstbewusster Wanderinnen mit dem eigenen Kopfkino abzugleichen.
Kapitel für Kapitel purzelt man in die verschiedenen Zeitkapseln der Wanderinnen. Die sorgfältig recherchierten Fakten lassen sich mühelos aufsaugen. Das liegt auch an den feinsinnigen Selbstreflexionen der Autorin. «Ich will zeigen, dass die Dinge, die ich herausgefunden habe, davon geprägt sind, was für Erfahrungen ich gemacht habe.»
Zu Recht haben diese Autorinnen die Begeisterung verdient, mit der Lubkowitz ihnen gerecht wird.