2012 unternahm ich meinen ersten Versuch an einem Achttausender. Damals lag das Rennen um die Trophäe, welche Frau als erste alle 14 Achttausender besteigt, noch nicht lange zurück. Die Gewinnerin war die Spanierin Edurne Pasaban, die im Mai 2010 auf ihrem letzten Gipfel, der Shishapangma (8027 Meter), stand. Ich hatte bis dahin bereits einige Sechs- und Siebentausender bestiegen, doch die Profi-Szene verfolgte ich nicht besonders aufmerksam.
Erst, als ich begann, mich mit der Geschichte des Frauen-Alpinismus zu beschäftigen, erkannte ich, in wessen Fussstapfen ich ging, welchen Kampf um Anerkennung die Frauen auch in den Bergen ausgetragen haben. Gerade im Himalaya.
Hausfrau mit Abenteuerlust
1970, zu der Zeit, als die Japanerin Junko Tabei unterwegs war, waren die Geschlechterrollen in ihrem Land sehr rigid. Frauen, die heirateten, wurden Hausfrauen. So auch Tabei, die englische Literatur studiert hatte.
Doch sie hatte Glück. In einem Interview sagte sie: «In Japan ist es sehr schwierig für Frauen, aus dem Haus zu kommen. Mein Haus ist anders, weil mein Mann ebenfalls Bergsteigen und Abenteuer liebt.» Eines ihrer Bücher trägt denn auch den Titel: «Die Schürze ausziehen, um in die Berge zu gehen».
Viele Frauen, die ernsthaft bergsteigen wollten, teilten ihre Leidenschaft entweder mit ihrem Partner oder verzichteten nicht selten auf eine Ehe. Die Polin Wanda Rutkiewicz, die zu den stärksten Höhenbergsteigerinnen gehörte, war zweimal kurz verheiratet. Doch sie musste feststellen, dass ihre Leidenschaft mit den Erwartungen an ihre Rolle als Ehefrau nicht kompatibel war.
Auch Sophie Lavaud, die erste Schweizerin, die alle 14 Achttausender bestieg, sagt im Filmportrait, das ich über sie realisierte: «Meine Liebe ist im Moment der Himalaya.»
Eine weitere wegweisende Alpinistin war Claude Kogan. Die Französin unternahm mit ihrem Mann Georges Kogan anfangs der 1950er-Jahre anspruchsvolle Touren in den Alpen und Erstbesteigungen in den Anden: Ein Power-Couple, würde man heute sagen. Dann starb er unerwartet an einer Krankheit. Claude Kogan machte allein weiter mit den Expeditionen. Ihr gelangen zahlreiche Erfolge.
Unter anderem trug sie den Titel «Höchste Frau der Welt», weil sie 1954 am 8188 Meter hohen Cho Oyu eine Höhe von 7700 Meter erreichte. Sie war es gewohnt, die einzige Frau in einer Gruppe von Männern zu sein, aber es fehlte ihr die Selbstbestimmung. Trotz ihrer unbestrittenen Erfahrung und ihres Könnens blieb darauf angewiesen, auf eine Einladung zu einer Expedition zu warten.
Sie organisierte deshalb die erste Frauenexpedition an einen Achttausender und kehrte 1959 als Expeditionsleiterin an den Cho Oyu zurück. Das Unternehmen endete tragisch. Claude Kogan, eine weitere Teilnehmerin und zwei Sherpas kamen beim Aufstieg zum Gipfel in einer Lawine ums Leben.
Die Presse reagierte teilweise mit Häme. «Der Spiegel» titelte «Es den Männern zeigen» und zitierte dabei einen Roman von Adalbert Stifter: «Das Weib ertragt den Himmel nicht.» Bis Frauen einen erneuten Versuch an einem Achttausender wagten, vergingen 15 Jahre.
Glücklich beim Klettern mit Frauen
Mit Frauen zu klettern, war ein Ausweg aus der Erfahrung, mit Vorurteilen, Abwertung und sozialem Stress konfrontiert zu sein. Auch für Junko Tabei, die 1969 einen Frauenkletterclub mitbegründete. Rückblickend sagte sie: «Mit einer weiblichen Partnerin dauerte der Weg länger, aber irgendwie fühlte ich mich durch die Leistung mehr belohnt. Körperlich gleichwertiger zu sein, erschien mir fairer, und es machte mich glücklich, mit einer Frau zu klettern.»
Auch den Everest ging sie als Frauenexpedition an. Trotz Rückschlägen nach einem Unfall erreichte Tabei zusammen mit ihrem nepalesischen Kletterpartner Ang Tshering Sherpa am 16. Mai 1975 den Gipfel. Nie vergass sie, ihn und das gesamte Team als Voraussetzung für ihren Erfolg zu betonen.
Gilt eine Frauenexpedition als Frauenexpedition, wenn Sherpas beteiligt sind? Diese Frage hat die Bergsteigerinnen seit Beginn ihres selbständigen Tuns im Himalaya umgetrieben. Auch Claude Kogan arbeitete mit einheimischen Hochträgern. Sie bestand jedoch darauf, voranzugehen, selbst die Spur zu legen, so, dass man im Nachhinein nicht behaupten konnte, die Männer hätten die Frauen auf den Berg geschleppt, was ein häufig gehörter Vorwurf war.
Ohne künstlichen Sauerstoff
Wanda Rutkiewicz war in dieser Frage kompromisslos. Sie war überzeugt, dass Frauen ihre Entscheidungsverantwortung und Führungskompetenz nur beweisen können, wenn sie ohne Männer unterwegs sind. In einer gemischten Expedition seien sie nur akzeptiert, wenn sie keine Konkurrenz für die Männer darstellten. Folglich organisierte sie in den 1980er-Jahren mehrere Frauenexpeditionen ohne Hochträger und auch ohne künstlichen Sauerstoff.
Den ersten Erfolg mit diesem puristischen Vorgehen hatte sie 1985 am Nanga Parbat. Sieben Jahre später verschwand sie am Kangchendzönga (8586 Meter) beim Versuch, alle 14 Achttausender ohne Sauerstoff zu besteigen.
«Berge für Kühe», aber nicht für Frauen
Dem britischen Bergpionier Albert Mummery wird der Spruch nachgesagt, jeder Berg mache drei Stadien durch: Erst sei er ein unmöglich zu besteigender Berg, dann der schwierigste Berg der Alpen und danach ein leichter Spaziergang für eine Lady. Auch Claude Kogan musste vom französischen Chef des Bergsteigerverbands hören, wenn die Frauen den Gipfel des Cho Oyu schafften, würde das nur beweisen, dass das «ein Berg für Kühe» sei. Die Abwertung der Schwierigkeit von Bergen, sobald Frauen sie besteigen, zieht sich durch die Geschichte des weiblichen Bergsteigens.
Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner, die 2012 als erste Frau alle Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff bestieg, erzählt in einem Interview mit dem ORF, Reinhold Messner hätte ihr vorgeworfen, sie sei rekordsüchtig und mediengeil und habe die Berge auf «Touristenrouten» erreicht. Das hätte sie sehr getroffen.
Am meisten litten Frauen aber wohl unter dem Vorwurf, Rabenmütter zu sein. 1972 bekam Junko Tabei eine Tochter. Die Zeit bis zu ihrer Abreise beschrieb sie als Zerreissprobe. Sie war Mutter geworden, hatte alle Hände voll zu tun mit der Vorbereitung der Expedition, und gleichzeitig warfen ihr japanische Medien Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrer Familie vor.
Väter dürfen Risiken eingehen, Mütter nicht?
Hart ins Gericht ging die Öffentlichkeit auch mit dem Ausnahmetalent Alison Hargreaves. Die Schottin war schwanger, als sie die Eiger-Nordwand durchkletterte. «Ich war schwanger, nicht krank», antwortete sie auf die Anfeindungen, als das bekannt wurde. Vom Klettern abhalten liess sie sich nicht. Berühmt wurde Hargreaves vor allem durch die Besteigung des Everest 1995 ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne Unterstützung durch Träger.
Im selben Jahr fegte sie ein Sturm vom K2. Der Umstand, dass sie zwei Kinder hinterliess, löste nochmals heftige Debatten aus. Dürfen Mütter solche Risiken eingehen? Dass sie mit ihrem Einkommen als Profi-Alpinistin das Familienleben bestritt, spielte bei ihren Kritikern ebenso keine Rolle, wie die Tatsache, dass viele Väter an hohen Bergen unterwegs sind.
«Ich bin mehreren Männern begegnet, deren Frauen zuhause Kinder bekamen, während sie an hohen Bergen unterwegs waren», sagt Billi Bierling. Sie ist Journalistin und kümmert sich um eine Datenbank, die Statistiken übers Bergsteigen im Himalaya zusammenstellt. Der Frauenanteil an Achttausendern liegt zwischen 1950 und 2024 bei knapp 20 Prozent, wobei die Frauen vor allem in den letzten Jahren zugelegt haben.
«Auch heute noch eine Männerwelt»
Mitverantwortlich dafür sind Geschichten wie diejenige der Norwegerin Kristin Harila, die den Männerrekord für die schnellste Aneinanderreihung aller Achttausender zusammen mit ihrem Sherpa von 189 auf 92 Tage herunterholte.
Interessant bei den Statistiken ist, dass die Erfolgschancen der Frauen höher liegen als die der Männer, während ihre Todesrate niedriger ist.
Doch alles in allem sei es auch heute noch eine Männerwelt, konstatiert Bierling. Noch gebe es zum Beispiel nur eine Handvoll Frauen, die an den hohen Bergen führen würden. Und die Agenturen, also da, wo das Geld verdient wird, seien fest in Männerhand.
Doch die Frauen seien heute viel mehr akzeptiert. Was ihr ein bisschen fehle, seien die Pionierinnen, die Berge und Routen in Angriff nähmen, die sich abseits des Massentourismus befinden, der sich in den letzten Jahren an den berühmten Bergen etabliert hat. Billi Bierling selbst stand auf sechs der höchsten Gipfel. Möchte sie noch einen probieren? «Es zieht mich immer noch, aber meine Mutter ist 91. Ich kann ihr das nicht antun.»
Die Leidenschaft zählt
Junko Tabeis Erfolg am Everest wurde oft als Symbol für den Kampf um Gleichstellung betrachtet. Sie selbst betonte lieber, dass sie der 36. Mensch auf dem höchsten Punkt der Erde war. Frauen befanden sich immer im Dilemma, als Vertreterinnen ihres Geschlechts grosse Leistungen zu erbringen und gleichzeitig auf das Geschlecht reduziert zu werden.
Das Bergsteigen allgemein und das Frauenbergsteigen im besonderen ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Ich bin den Pionierinnen dankbar, konnte ich doch vergleichsweise selbstverständlich meine Abenteuer im Himalaya leben. Ich war noch viermal an einem Achttausender. Zweimal hat es geklappt. Später habe ich mich einmal bei meinen Töchtern entschuldigt. Nicht, weil ich meine Expeditionen bereut hätte. Im Gegenteil. Sie gehören zu meinen wertvollsten Erfahrungen. Aber es tat mir leid, dass sie sich Sorgen um mich gemacht haben. Sie haben die Entschuldigung angenommen. «Du hast dich auch oft ums uns gesorgt», war ihre lapidare Antwort.