Der Roman «Und Federn überall» der iranisch-deutschen Autorin Nava Ebrahimi spielt auf einem Geflügelschlachthof, auf dem 650'000 Hühner pro Tag «verarbeitet» werden und ist eine Kritik an der Massentierhaltung. Im Gespräch erklärt die Autorin, warum dieses kalte Effizienzstreben uns unserer Menschlichkeit beraubt – und sie verrät, ob sie noch Fleisch isst.
SRF: Frau Ebrahimi, für die Recherche zu Ihrem neuen Roman ist es Ihnen gelungen, Zutritt zu einem Geflügelschlachthof zu bekommen. Welche Eindrücke sind Ihnen davon im Gedächtnis geblieben?
Nava Ebrahimi: Es ist kalt. Alles wirkt sehr klinisch und steril; es herrschen ja höchste Hygienevorschriften. Ich erinnere mich an einen leicht stechenden Geruch nach Chemikalien, Desinfektionsmittel wahrscheinlich. Und es ist sehr laut, weil die Zerlegungsmaschinen die ganze Zeit rattern. Ich war danach froh, wieder draussen zu sein. Ich musste alles erst einmal sacken lassen.
Eine Ihrer Hauptfiguren arbeitet am Förderband und sortiert tagein, tagaus schlechte Fleischstücke aus. Haben Sie bei Ihrem Besuch diese Figur schon vor sich gesehen?
Das nicht. Aber dieser «Rundgang» war nötig, um über die Abläufe auf einem Schlachthof schreiben zu können. Ein paar Youtube-Filmchen zu schauen, hätte mir nicht gereicht. Es war wichtig, diese kalte Atmosphäre zu spüren.
Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, einen Roman in einem solch ungemütlichen Setting spielen zu lassen?
Es gab mehrere Auslöser, aber einer war sicherlich, dass ich von dem Phänomen der «Wooden Breast» gelesen habe.
Das ist eine Mastgeflügelkrankheit, die Sie im Buch auch thematisieren.
Sie tritt auf, wenn Hühner unter Stress stehen und zu schnell wachsen. Ihre Brust wird dann hart, holzig – daher der Name «Wooden Breast». Die Betriebe sortieren solche Stücke aus. Als ich davon erfahren habe, konnte ich mir das irgendwie vorstellen: dieses Gefühl, innerlich zu verhärten. Ich habe darin sofort metaphorisches Potenzial gesehen.
Genau das hat mir an Ihrem Buch auch so gut gefallen: Wie Sie das Motiv der «Wooden Breast» einsetzen. Denn nicht nur die Tiere leiden an einer verhärteten Brust, sondern auch Ihre Figuren.
Im übertragenen Sinn steht die «Wooden Breast» für mich für die Unfähigkeit zu fühlen oder etwas an sich heranzulassen, sich gegenseitig zu sehen und zu helfen. Eine Art Verpanzerung, die ich im Alltag übrigens immer stärker beobachte. Wir kapseln uns voneinander ab, vielleicht, weil es so viel Leid gibt und wir glauben, uns davor schützen zu müssen. Oder weil wir das Gefühl haben: Jetzt wird es eng, jetzt muss jeder sehen, wo er bleibt. Die Klimakrise, die politisch unstabile Lage und der wirtschaftliche Druck, unter dem viele Menschen stehen, scheinen das zu verstärken.
Unser Fleischkonsum war für mich ein gutes Beispiel dafür, wie gross unsere Verdrängungskünste sind.
Nachdem Sie sich so intensiv mit der Massentierhaltung beschäftigt haben: Essen Sie noch Fleisch?
Ich versuche, es zu vermeiden, schaffe es aber nicht immer, konsequent zu sein. Die Massentierhaltung zu skandalisieren, war eigentlich gar nicht meine Absicht, obwohl vieles daran natürlich kritisch ist. Unser Fleischkonsum war für mich eher ein gutes Beispiel dafür, wie gross unsere Verdrängungskünste sind. Wir alle wissen, unter welchen Bedingungen Fleisch produziert wird. Wir wissen es, wollen es aber nicht sehen, weil wir unser Verhalten nicht ändern wollen. Mit Hunden gehen wir Gassi und kaufen ihnen Regenjäckchen, aber wir blenden aus, dass Milliarden anderer Tiere in Mastanlagen dahinvegetieren. Diese Gleichzeitigkeit finde ich faszinierend.
Das Gespräch führte Katja Schönherr.