Der rätselhafte Fall, um den Dorothee Elmigers aktueller Roman kreist, ist real. 2014 sind zwei junge niederländische Touristinnen zu einer Wanderung in Panamas Urwald aufgebrochen und nie mehr zurückgekehrt. Die darauffolgende Suchaktion wurde zur grössten in der Geschichte des Landes. Die Umstände, unter denen die beiden jungen Frauen verschwanden, bleiben bis heute ungeklärt, obwohl diverse Spuren von ihnen aufgetaucht sind.
Theatermacher im True-Crime-Fieber
Diese beiden Touristinnen sind die titelgebenden «Holländerinnen» in Dorothee Elmigers Roman. Darin erzählt eine erfolgreiche, namenlose Autorin, wie sie als Chronistin eine Rekonstruktion dieses Falls mit einer Theatergruppe begleitete: vor Ort, im mittelamerikanischen Dschungel, zusammen mit Schauspielerinnen, einem Kameramann, einem Dramaturgen und einer Kostümbildnerin.
Die treibende (und getriebene) Kraft hinter diesem Vorhaben ist der ebenfalls namenlose «Theatermacher». Dorothee Elmiger zeichnet ihn als wunderbar groteske Figur: Er ist komplett von sich selbst eingenommen und strapaziert die anderen mit endlosen Vorträgen über Werner Herzog oder Walter Benjamin.
Den Fall der «Holländerinnen» hat er minutiös recherchiert. Deswegen zieht er nun seine Crew mit sich mit – immer tiefer ins Urwalddickicht, auf dass sie jede dokumentierte Station der beiden verschollenen Touristinnen tatsächlich aufsuchen, auch wenn die Widerstände der Gruppe wachsen.
Der Horror lauert überall
Je tiefer sie in den Dschungel vorstossen, desto bedrohlicher wird die Aussenwelt, vor allem nachts: Der Urwald sei «von einem ungeheuren, ja höllischen Lärm erfüllt gewesen, der aus allen Richtungen auf sie eingedrungen sei, dem Lärm des brodelnden Waldes, in dem alles lebe und schreie und sterbe», erzählt die Autorin im Buch.
Während ihres Dschungel-Treks erzählen die Mitglieder der Theatertruppe der Autorin reihum von Erinnerungen: Die eine Schauspielerin hat etwa einen Sommer auf einer Ziegenalp verbracht, und der Kameramann hat einen Bauern begleitet, der einen wilden Mustang zähmen wollte. Auf den ersten Blick sieht das harmlos aus. Doch alle diese Geschichten nehmen monströse Verläufe.
Nach und nach glaubt der Kameramann nämlich, bei dem Bauern eine perverse Lust am Pferdezähmen zu entdecken – und auf der Ziegenalp wird es plötzlich sehr blutig: Es kommt zu Dutzenden Totgeburten bei den Tieren. Es scheint, als kämen Dorothee Elmigers Romanfiguren erst durch die intensive Bedrängnis, die sie im Urwald empfinden, auf das Grauen, das in scheinbar alltäglichen Dingen aus ihren «normalen» Leben lauert.
Im Dickicht der Erzählungen
Dorothee Elmiger entfesselt eine Erzähl-Obsession. Das lässt sich auch als Kommentar auf die True-Crime-Faszination dieser Tage lesen: Im Kern wird da ein Geschehnis packend nacherzählt und mit einer Prise Sinnsuche angereichert – und genau das treibt diese Theatertruppe an den Rand ihrer inneren Abgründe.
Elmiger spinnt ihre Geschichten sprachlich virtuos durch unzählige Erzählebenen hindurch und zieht ihr Publikum beim Lesen immer tiefer in dieses Gewirr, sodass man sich bald in einem ähnlichen Dschungel wähnt wie die Figuren im Buch. Es lohnt sich sehr, ihr dorthin zu folgen – allen notwendigen Widerständen zum Trotz.