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Salman Rushdies «Quichotte» Liebe in Zeiten der Trampeltiere

Da leben noch Mammuts? In seinem neuen Roman «Quichotte» lässt Salman Rushdie einen Narren durch das heutige Amerika ziehen.

Ja, es gehe um die Liebe, sagt Salman Rushdie zu Beginn unseres Gesprächs. Aber nicht um die romantische Liebe, sondern um eine andere, wertvollere. Die Liebe innerhalb von Familien zum Beispiel. Die zwischen Vätern und Söhnen, Brüdern und Schwestern oder die zu Menschen generell.

Tatsächlich wäre es etwas merkwürdig gewesen, hätte Rushdie seinen Roman auf die romantische Liebe aufgebaut. Dreht er sich doch um einen alten, einsamen Mann, der sich beim vielen Fernsehen in die junge, schöne Fernsehmoderatorin Salma R. verliebt.

Buchhinweis

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Salman Rushdie: «Quichotte», Bertelsmann 2019.

Der Mann beschliesst, sich fortan «Quichotte» zu nennen und sich mit seinem imaginierten Sohn Sancho auf den Weg zu machen, um Salmas Liebe mittels Bestehen von Abenteuern und Vervollkommnung seiner selbst für sich zu gewinnen – wie einst Don Quijote in Cervantes Original.

Wie immer bei Rushdie: vielschichtig

Natürlich hat er keine Chance. Natürlich funktioniert das nur als Komödie. Aber Rushdie wäre nicht Rushdie, wenn der Roman nicht komplexer und vielschichtiger wäre. So gibt es hinter der surrealen und komödiantischen Ebene noch eine reale und ernsthafte.

Die erzählt von einem ebenfalls indisch-stämmigen Schriftsteller, der gerade eine Geschichte über einen modernen Quichotte schreibt, der mehr oder weniger das erlebt, was auch der Schriftsteller gerade erlebt: die Aussöhnung mit der krebskranken Schwester nach einem lebenslänglichen Konflikt, das Zerwürfnis mit dem Sohn und den Weltuntergang. Aber das ist dann eine andere Geschichte, die hier nicht verraten werden soll.

Diese zweite Ebene habe er gar nicht geplant, sagt Salman Rushdie in unserem Gespräch. Der Schriftsteller sei eines Tages einfach da gewesen, also habe er, der richtige Schriftsteller, beschlossen, den Dingen freien Lauf zu lassen und die Figur in den Roman aufzunehmen.

Wie auch diese andere Sache. Die mit den Mammuts. Die seien eines Tages auch einfach da gewesen, sagt Rushdie, und er habe es akzeptiert.

Eine Geschichte voller Zitate und Anspielungen

So gibt es jetzt in der Mitte des Romans eine kurze Anekdote, in der Mammuts durch eine Stadt laufen und alles niedertrampeln, was ihnen in die Quere kommt. «Beringer» heisst die Stadt. «Jonesco» ein Hotelier, dessen Gast Quichotte und Sancho gerade sind. Doch diese Namen wären nicht nötig gewesen.

Man hätte das Zitat – eines von Hunderten übrigens in diesem Roman – auch so erkannt: Rushdie spielt hier auf das Theaterstück «Die Nashörner» an, dessen Hauptfigur «Beringer» heisst und von Eugene Ionesco stammt.

So unscheinbar sie ist, diese Anekdote. Sie ist der Kern des Romans. Denn Ionescos Stück ist eine Totalitarismus-Parabel und zielt auf den Nationalsozialismus.

Rushdies Roman hingegen auf Trumps Amerika. Wohl setzt Rushdie die beiden Systeme nicht gleich, wie er zum Schluss unseres Gesprächs sagt. Aber Ansätze seien da. Die Mammuts laufen.

Höchste Zeit, einen Narren vorbeizuschicken. Denn wenn einer etwas bewirken kann, dann der Narr. Mit seiner Unschuld. Und seiner Liebe, sagt Salman Rushdie.

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