Das Wichtigste in Kürze
- Saphia Azzeddines Roman handelt von einer jungen Frau namens «Bilqiss» in einem fiktiven islamischen Land.
- Bilqiss ist zum Tod durch Steinigung verurteilt , weil sie wie ein Muezzin die Gläubigen zum Gebet aufgerufen hat.
- Der Roman beschreibt die Lebensumstände in einem fundamentalistisch islamischen Land differenziert, beleuchtet auch die Selbstgerechtigkeit des Westens und will kein Mitleid erwecken. Dennoch wühlt die Geschichte auf.
Bilqiss ist der Name einer jungen muslimischen Frau. Sie sitzt im Gerichtssaal und wartet auf ihr Urteil. Wahrscheinlich wird es lauten: Tod durch Steinigung. Bilqiss lebt in einem fiktiven islamischen Land. Ein Land, das ihr kaum Luft lässt zu atmen. Ein Land, in dem es schon ein Makel ist, Frau zu sein.
Tod durch Steinigung
Bilqiss ist jung, schön – und sie ist Witwe. Das ist suspekt! Alleinstehende Frauen stiften Unruhe. Bilqiss trägt ab und zu ein wenig Make-Up, lackiert sich die Fingernägel und zupft ihre Augenbrauen.Das ist verboten! Bilqiss liest gern und hat Bücher zuhause. Fast schon ein Verbrechen!
Doch was ist der Grund dafür, dass sie zum Tod durch Steinigung verurteilt werden soll? Ehebruch? Nein. Bilqiss wollte einer Nachbarin aus der Patsche helfen. Deren Mann – ein Muezzin – war so betrunken, dass er nicht auf das Minarett der Moschee steigen konnte, um seine Arbeit zu tun.
Bilqiss ging an seiner Stelle hinauf und rief die Gläubigen zum Gebet auf. Eine Frau mit samtener Stimme als Muezzin. Das ist ein Sakrileg! Der Zorn der Dorfbewohner ist so gross, dass Bilqiss mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden soll.
Verbotene Liebe
Die Geschichte wird aus der Perspektive von drei Personen beschrieben. Aus der Sicht von Bilqiss, die genau weiss, was es bedeutet, gesteinigt zu werden. Trotzdem bleibt sie ihrem Glauben treu und verzichtet sogar auf einen Verteidiger.
Dann gibt es die Sicht einer amerikanischen Journalistin, die ins Land reist, um darüber zu berichten. Und es gibt die Sicht des Richters. Er muss das Urteil fällen, zögert es aber hinaus, weil er sich in Bilqiss verliebt.
Die Stärke dieses Romans ist, dass er differenziert die Lebensumstände von Frauen in einem fundamentalistisch islamischen Land beschreibt. Die Autorin unterläuft dabei die Erwartungen der «westlichen» Leser. Bilqiss will kein Mitleid. Und sie liefert der Journalistin nicht das, was sie für den Erfolg ihrer Geschichte in den Medien braucht.
Harte Kost
«Bilqiss» ist ein Roman, der aufwühlt und wütend macht. Nicht nur, weil er die unglaubliche Ungerechtigkeit Frauen gegenüber aufzeigt. Er macht so wütend, weil die Situation für die Frauen so ausweglos ist.
Frau zu sein ist ein Makel. Frauen werden allein deshalb verachtet, weil sie keine Männer sind. Die Autorin zeigt aber auch, dass auch die Männer in diesem Land nicht frei sind.
Saphia Azzedine greift gerne heikle Themen auf und spitzt sie zu. Auch in diesem Roman. Man spürt ihren Zorn über die Ungerechtigkeit und Rückwärtsgewandtheit in fundamentalistischen Gesellschaften. Dass das Verstecken von Frauen das Gegenteil erreicht, nämlich eine sexuelle total aufgeladenen Stimmung.
Gleichzeitig ärgert sie sich aber auch über die Selbstgerechtigkeit des Westens gegenüber dem Islam. So ist man beim Lesen froh, dass Saphia Azzeddine noble Gefühlsduselei nicht zulässt. Als die Amerikanerin in der Zelle fragt, wie sie denn helfen könne, sagt Bilqiss trocken: «Werfen Sie den ersten Stein, töten Sie mich.»