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Schweizer Radio Tatort «Ich wollte, dass zuhause die Boxen zu brennen anfangen»

Im zweiten Schweizer Radio Tatort ermittelt der Zürcher Kommissär H.P. Anliker erneut in Meiringen. Seit dem ersten Fall sind mehr als 100 Jahre vergangenen – kann Anliker durch die Zeit reisen?

Gion Mathias Cavelty, der das Hörspiel zusammen mit zwei weiteren Autoren geschrieben hat, mag Mystisches und Übernatürliches. Von der Logik halte er sich beim Schrieben so fern wie möglich, sagt der Autor.

Gion Mathias Cavelty

Schriftsteller

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Gion Mathias Cavelty ist Schriftsteller, Satiriker und Heavy-Metal-Fan. Er ist Autor mehrerer, oft surrealer oder humoristischer Bücher wie der «Quifezit-Trilogie» oder der Ratgeber-Parodie «Endlich Nichtleser». Zuletzt erschien «Innozenz» (2020). Für SRF hat Cavelty zahlreiche Hörspiele geschrieben, zuletzt den Radio Tatort «Das dritte Ohr». Er lebt in Zürich.

SRF: Schauen Sie sich den «Tatort» oft an?

Gion Mathias Cavelty: Nein, das interessiert mich meistens nicht so. Am Schluss gibt es einen, der die Tat aus irgendeinem Grund begangen hat. So what?

Sie hatten mit dem Schweizer Radio Tatort also anderes vor?

Ich wollte das Gegenteil von dem, was man von einem üblichen «Tatort» erwartet: einem Halb-Alkoholiker, der als Ermittler in seiner Lederjacke durch ein deprimierendes Viertel schlurft. Ich fand: Wenn die Schweiz da mitmacht, dann muss sie mit der grossen Kelle anrühren.

Warum nicht mit den grössten Fällen arbeiten, die sich in diesem Land ereignet haben? Da wäre zum einen Sherlock Holmes, der die Reichenbachfälle hinunterstürzt. Und dann die Sonnentempler, vor etwa 25 Jahren im Wallis. Da starben 25 Menschen, drei Chalets brannten.

Was reizt sie an diesem Thema?

Das Thema Sekte hat mich schon immer fasziniert. Mich interessieren Welten, die nach eigenen Codes und Regeln funktionieren. Da kommt man zu grotesken Welterklärungen, die zum schlimmstmöglichen Ende führen können.

Bei den Sonnentemplern hat mich dieses Bild des brennenden Chalets fasziniert – das wollte ich unbedingt auch im Radio Tatort. Das Chalet als Ort des absolut Bösen.

Mir ist die Logik egal.

Sie haben die beiden Schweizer Radio Tatort-Folgen zusammen mit Matthias Berger und Lukas Holliger geschrieben. Wie haben Sie sich da organisiert?

Die Zusammenarbeit war für uns alle ein Experiment. Aber ich glaube, wir sind alle zufrieden. Zumindest reden wir noch miteinander.

Wir sind unterschiedliche Typen, jeder hat sein Gebiet. Matthias ist Theologe, hat ein sehr grosses Wissen. Lukas ist ein akribischer Arbeiter, der genau auf Abläufe und Logik achtet.

Mir ist die Logik egal. Ich finde sogar: je unlogischer, desto besser. Es gibt Filme, die ich x-mal gesehen habe und die mich faszinieren, obwohl ich sie immer noch nicht ganz verstanden habe.

Drei Männer stehen auf einem Platz nebeneinander und sprechen miteinander.
Legende: Gion Mathias Cavelti mit seinen Mitautoren Mathias Berger und Lukas Holliger (von links). SRF / Matthias Willi

War es schwierig, die Ideen klanglich umzusetzen?

Es gibt in der neuen Folge zum Beispiel einen Todesschrei. Da habe ich mir vorgestellt, dass man einen so markerschütternden Schrei machen kann, zehnmal lauter als alles andere, dass zu Hause die Boxen zu brennen anfangen. Aber das ging technisch nicht. Es kann also schon mal sein, dass man zu abgefahrene Vorstellungen hat.

Aber die Umsetzung überlasse ich der Regisseurin, dem Musiker, den Schauspielern. Das ist für mich das Schönste am Hörspiel: Wenn aus einem Text, aus einfachen 26 Buchstaben, eine neue Welt entsteht. Wenn das Wort Fleisch wird, wie es im Johannes-Evangelium heisst.

Der Schweizer Radio Tatort

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  • Im ersten Teil der «Meiringen-Trilogie» ermittelt Kommissär H.P. Anliker im Jahr 1891 an einem Hirnforscher-Kongress. «Der dunkle Kongress» wurde im Dezember 2019 erstmals ausgestrahlt.
  • Im zweiten Teil «Das dritte Ohr» taucht Anliker in der Gegenwart auf – wieder in Meiringen, wo sich gerade die Anhänger einer Sekte versammeln.
  • Der dritte Teil wird 2021 ausgestrahlt. Er soll im Jahr 2056 spielen.

Ist das der Reiz daran, Hörspiele zu schreiben?

Es gibt ganz andere Möglichkeiten. Eine Explosion zum Beispiel, die im Film Millionen kostet, kostet im Hörspiel nichts. Es ist ein einfaches Geräusch, das für mich aber einen viel grösseren Effekt hat, als wenn zum Beispiel ganz New York detoniert in einem Film von Roland Emmerich.

Ein Hörspiel kann direkt in den Kopf des Hörers eindringen. Für mich gibt es nichts Fesselnderes, nichts Faszinierenderes als einer Stimme aus dem Radio zuzuhören.

Das Gespräch führte Andres Hutter.

Sendungshinweis

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Der neue Schweizer Radio Tatort ist am Freitag, 15.5. um 20 Uhr auf Radio SRF 1 und am Samstag, 16.5. um 20 Uhr auf Radio SRF 2 Kultur zu hören. Die Folge ist schon jetzt online abrufbar .

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, «Hörspiel», 16.5.2020, 20 Uhr. ; 

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