Die Slam-Poetin Lara Stoll steht seit über 15 Jahren auf der Bühne. Und das sehr erfolgreich: Dieses Jahr wurde die zierliche Thurgauerin mit derbem Mundwerk mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet . Jetzt erscheint Stolls erstes Buch «Hallo», das Prosa, experimentelle Texte und Gedichte versammelt. Ein Gespräch über Schreibstress, Pointendichte und Lieblingslektüre.
SRF: Wie unterscheidet sich die Textarbeit für einen Ihrer Slam-Poetry-Auftritte oder für eines Ihrer Programme vom Schreiben für Ihr Debut?
Lara Stoll: Wenn ich einen Text für eine Performance schreibe, merke ich auf der Bühne relativ schnell, wo er Längen hat, wo etwas nicht funktioniert, wo ich ihn ausbauen kann. Einen Teil dieser Texte habe ich auch für das Buch ausgewählt. Sie haben eine Qualitätssicherung hinter sich. Es sind grundsätzlich gute Texte mit grosser Pointen-Dichte.
Hier liegt der Unterschied zu manchen Geschichten, die ich extra für das Buch geschrieben habe. Auf der Bühne muss ich das Publikum innert 20, 30 Sekunden «packen». Ich liefere Bilder im Minuten-, ja fast Sekundentakt. Für das Buch konnte ich es gemütlicher nehmen, konnte ausschmücken und ausholen. Ob Buch, ob Liveprogramm: eine Gesamtdramaturgie ist mir wichtig.
Schreiben ist eine Mischung aus Lust, Fleiss und elaborierter Prokrastination.
Kennt Lara Stoll die Angst vor dem leeren Blatt? Wie gehen Sie mit Schreibblockaden um?
Ich habe eine Strategie, wie ich Schreibblockaden umgehen kann. Wenn ich nicht weiterkomme, arbeite ich an einem meiner Filmprojekte weiter. Oder ich gehe in den Bandraum, schreibe einen neuen Song. Oder ich erledige etwas, das rumliegt.
Wenn ich mich dann wieder frisch an den Text mache, sehe ich, wo es knorzt. Ich habe nicht die Geduld zu warten, bis es vorwärts geht. Ich kann mich nicht vor ein leeres Blatt hocken, und es kommt schon gut. Ich sage immer: Schreiben ist eine Mischung aus Lust, Fleiss und elaborierter Prokrastination.
Sie texten seit Kindsbeinen an. Doch die Schule, sagen Sie oft, habe Ihnen die Lust am Schreiben zeitweise versaut. Wie und warum?
Sobald man mich zwingt, Sachen zu machen, habe ich ein Problem. Ich weiss nicht, ob ich generell ein Problem mit Autoritäten habe. Ich brauche grosse Freiheit und keinen Leistungsdruck, um kreativ sein zu können.
Auch die Zusammenarbeit mit einem Verlag hatte ich mir einfacher vorgestellt. Die anderen Leute, die in den Prozess involviert sind, die verschiedenen Interessen... Normalerweise «brösmele» ich für mich allein, und dann geht der Text, zack, eins zu eins raus.
Ich habe grosse Träume, schaffe es aber nicht einmal, den Briefkasten regelmässig zu leeren.
Wenn man Sie das erste Mal auf der Bühne erlebt, ist man erstaunt, mit welcher Energie und welchem Furor Sie agieren. Die Herausforderungen des Alltags bringen Sie in Rage. Ist Wut Ihr Motor?
Meistens bringt mich schon die Wut zum Schreiben. Aber nicht nur. Es geht um Gefühle. Man muss nur vor die Tür gehen und das, was einem begegnet, auf sich wirken lassen. Ich glaube, diese Gefühle sind zentral, um einen Schreibprozess zu starten. Im Sinne der Ehrlichkeit.
Aber in «Hallo» geht es nicht nur um mich, sondern auch um eine Generation. Wir Millennials sind ja verwöhnt aufgewachsen, verhätschelt worden. Ich lebe in dieser Wohlstandsgesellschaft, in einer der reichsten Städte der Welt und scheitere oft an mir selbst.
Ich habe so grosse Träume, schaffe es aber nicht, den Briefkasten regelmässig zu leeren. Man steht sich ein bisschen selbst im Weg. Ich finde das lustig und tragisch zugleich. Das Buch ist für mich auch ein Zeitdokument.
Welches Genre bevorzugen Sie, wenn Sie Zeit zum Lesen finden?
Ich lese viel und viel Unterschiedliches. Lustigerweise stehe ich auch auf Macho-Literatur. Ich mag einen selbstbewussten Schreibstil. Bücher, in denen die Hauptfigur männlich ist, ein expliziter Umgangston herrscht.
Zum Beispiel, wie man mit der Frau umgeht, wie man sie allenfalls betrügt und so weiter. Das ist für mich Macho-Literatur. Ich mag das, aber ich darf es kaum sagen.
Das Gespräch führte Nicole Salathé.