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Tagebücher der Krimiautorin Patricia Highsmith: Lebenslustig und ewig fasziniert vom Bösen

Sie schuf sympathische Mörder und verstört damit bis heute. Nun geben die erstmals publizierten Tage- und Notizbücher von Patricia Highsmith Einblick in ihre Welt.

Das Bild ist ikonisch: Die alte Patricia Highsmith, gezeichnet von Alkohol und Nikotin, versteckt sich hinter ihrer Katze. Und es ist schwer zu sagen, wer von den beiden rätselhafter und unheimlicher dreinblickt.

Mit den Jahren wurde Patricia Highsmith, gefeierte Autorin von 22 Romanen und vielen Erzählungen, immer menschenfeindlicher. In die Karten hatte sie sich noch nie gerne blicken lassen. Ihr Leben hatte sie dem Schreiben gewidmet, ansonsten ging es niemanden etwas an.

schwarzweiss Foto Gesicht dunkle Katze, dahinter versteckt Gesicht mürrische Frau
Legende: Patricia Highsmith mit einer schwarzen Katze. Das Bild wurde in der Ausstellung «Katz und Hund literarisch» gezeigt. Keystone / Handout Schweizerisches Literaturarchiv

Gross geworden in der New Yorker Boheme

Umso mehr irritierten die raren Wortmeldungen aus ihrem festungsähnlichen Alterssitz in Tegna im Tessin: Die Autorin der schillernden Ripley-Romane konnte sich zum Beispiel unverhohlen antisemitisch und frauenfeindlich äussern.

Dies, obwohl sie in der lesbischen Boheme des New Yorker Greenwich Village grossgeworden war, massgeblich gefördert durch ein Frauennetzwerk, mit vielen jüdischen Geliebten und Freunden.

schwarzweiss Bild ältere Frau steht vor Steinwand, angelehnt.
Legende: Patricia Highsmith (1984) ertrug menschliche Nähe in ihren letzten Jahren nur schlecht. imago images /Sophie Bassouls/Leemage

Unglaubliche Fundgrube 

Wer hofft, in Patricia Highsmiths Tage- und Notizbüchern mehr über solche Widersprüche zu erfahren, wird enttäuscht. Trotzdem erschliesst sich eine unglaubliche Fundgrube – gerade in Sachen Werkentwicklung: «Ich finde, dass Menschen mit ihren Perversionen, Abnormalitäten, ihrem Unglück bei ihrem Aufstieg und Untergang aufs Ganze gehen dürfen sollten», schreibt Highsmith noch als Studentin.

Es klingt wie ein Programm für einen ihrer späteren Romane, oft Krimis, die keine waren. Es geht in ihnen nicht ums «Whodunit», sondern um menschliche Abgründe. Diese, hauptsächlich ihre eigenen, sammelte Patricia Highsmith in ihren Tagebüchern, um sie bei passender Gelegenheit in Literatur zu verwandeln.

Zeitfresser Liebe

«Ich glaube nicht an das Glücklichsein oder die sogenannte Normalität menschlichen Lebens», notierte die 21-Jährige. Schön, zielstrebig, eigenwillig wie sie war, lag ihr die Welt damals aber durchaus zu Füssen. Wenn es um ihr intensives Liebesleben ging, war Glücklichsein willkommen. Bloss, dass es mit der Arbeit kollidierte: «Es nimmt verdammt viel Zeit in Anspruch, verliebt zu sein.»

Schreiben ging Patricia Highsmith über alles. Geboren 1921 in Texas – die Mutter hatte sie abtreiben wollen, die Eltern liessen sich vor ihrer Geburt scheiden -, wuchs sie als Einzelkind auf. Sie konnte mit drei Jahren lesen, zählte mit neun Dostojewski zu ihren Lieblingsautoren und begann mit vierzehn ein tägliches Schreibregime, das sie lebenslang beibehielt.

Im Wäscheschrank versteckt

Dazu gehörte auch, Tagebuch zu führen und die Einträge in Notizbüchern zu verdichten. So sammelte Patricia Highsmith Jahre vor ihrem ersten, von Alfred Hitchcock verfilmten Roman «Zwei Fremde im Zug» Material für ihre Literatur. Über 8000 Seiten waren es schliesslich. Highsmith erwog, sie zu verbrennen, vermachte sie dann aber dem Diogenes-Verleger und Freund Daniel Keel.

Filmplakat bunt, rechts und links Zuggleise, in der Mitte Text.
Legende: «Der Fremde im Zug» handelt vom perfekten Alibi zweier Mörder. Der Krimi wurde 1951 verfilmt. IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

Nach Highsmiths Tod suchte Keel zusammen mit der Lektorin Anna von Planta das ganze Haus in Tegna ab: von den Tage- und Notizbüchern keine Spur. Bis von Planta sich fragte: «Wo würde ich das mir Wichtigste verstecken, damit nur der Richtige es findet? Ich würde es hinter meinen Laken verstecken. Und tatsächlich, im Wäscheschrank waren sie alle, in Reih und Glied, wie die Soldaten.»

Wandelnde Ambivalenz

Anna von Planta wählte aus Patricia Highsmiths Tage- und Notizbüchern der Jahre 1921-1995 über 1000 Seiten und übernahm dabei die originalen Proportionen: die meisten Einträge finden sich in Highsmiths jungen Jahren. Sie sind geprägt von Liebesangelegenheiten und Schreibversuchen, und davon, wie sich beides kaum vereinbaren liess: «Ich kann arbeiten, aber nur, wenn ich allein bin, dann sprudeln die Ideen wie Wasser aus der Erde!»

Patricia Highsmith war die wandelnde Ambivalenz. In Sachen Liebe wünschte sie sich künstlerische Inspiration, aufregenden Sex (an dem sie oft schnell die Lust verlor) und ein Heimchen am Herd. So protokollieren die Tagebücher ihrer jungen Jahre ein Karussell von Illusion und Absturz, Liebestaumel und Zurückweisung.

Der Platz einer schreibenden Frau

Oft genug war sie es, die mit dem Hinweis darauf, dass sie «niemandes Eigentum» sein wolle, Schluss machte. Gleichzeitig lebte sie in tatsächlich vertrackten Verhältnissen. Auch weibliche Homosexualität war in den USA damals strafbar und der gutbürgerliche Traum von Frau, Haus, Kindern nicht zu realisieren – wenn sie ihn denn ausgehalten hätte.

Patricia Highsmiths Tagebücher sind nicht so welthaltig und zeitlos wie jene ihrer Kolleginnen Virginia Woolf und Sylvia Plath. Trotzdem reflektieren auch sie, welchen Platz die Gesellschaft einer schreibenden Frau zugesteht. So notiert Highsmith 1945 auf einer Auslandreise mit einer Geliebten:

«Wir brauchen einen Mann, der unser Leben organisiert, so dass wir uns um nichts als unsere Arbeit kümmern müssen, Freunde einladen und uns anschliessend wieder an den Schreibtisch zurückziehen können. Wo findet man bloss so was?»

Buchhinweis

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Patricia Highsmith: «Tage- und Notizbücher.» Herausgeben von Anna von Planta. Diogenes, 2021.

Angst vor der kleinen Verirrung

Patricia Highsmith wird gerne als Sphinx gezeichnet, unheimlich und ungreifbar wie ihre Texte. In ihren Tage- und Notizbüchern erlebt man sie als eine, die schon als lebenslustige junge Frau fasziniert vom Bösen war:

«Ich bin an der Psychologie des Mörders interessiert und auch an den gegensätzlichen Ebenen, den Beweggründen für das Gute und das Böse. Wie man durch eine kleine Verirrung zum anderen werden kann und all die Kraft eines starken Charakters und Körpers umgelenkt wird in Mord und Zerstörung! Einfach faszinierend!»

Mit Figuren wie dem talentierten Mr Ripley, dem so überaus einnehmenden Hochstapler und Mörder, jubelte Patricia Highsmith den Leserinnen und Lesern ihre eigenen Ängste unter. Sie fürchtete zeitlebens die «kleine Verirrung», die sie ins Verderben stürzen könnte. Und wie Ripley war sie insgeheim zutiefst einsam, ungeachtet zahlloser Beziehungen und Affären.

«Der Wald aus lauter Neins richtet sich wieder auf», notierte sie einmal. Nur schon Sätze wie dieser lohnen die Lektüre.

Sendungshinweis

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Mehr zu den Tage- und Notizbüchern der Patricia Highsmith gibt es am 29.10.2021 in «Kontext» zu hören.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 27.10.2021, 8:06 Uhr

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